tolle idee | was wurde draus? (DLF)

vor 10 jahren startete → forschung aktuell im deutschlandfunk die reihe “tolle idee – was wurde draus?” anlass dafür war die  frage: wir berichten laufend über aktuelle forschungsvorhaben und eben auch ideen, die sich manchmal toll anhören. dann lass uns doch ab und zu mal später nachfragen, was aus den größeren versprechungen eigentlich wurde? viele sind natürlich in der prototyp-phase hängen geblieben oder gänzlich in der versenkung verschwunden, andere führen ein gediegenes dasein oder haben sich richtig etabliert.

die reihe wurde vom redaktionsleiter uli blumenthal initiiert. im januar 2015 startet forschung aktuell mit einer neuen – der vierten – staffel, und hier ist der trailer dafür, den ich heute fertiggestellt habe:


tolle idee – was wurde draus? trailer für 13. januar 2015

der trailer basiert auf dem sounddesign von 2004, aber die texte sind natürlich andere. es macht ungemein spaß, mit schauspielern zu arbeiten. hier zum beispiel mit ralf spengler, den ich nach der “normalen” textaufnahme bat, sich selbst paar einzelne worte herauszufischen und so tief er konnte zu sprechen.


outtake 1: ralf spengler nah am mikro und sehr tief

kaum war ralf aus dem studio zurück zu den nachrichten verschwunden, kam christoph wittelsbürger und bot stimmen an, die ich von ihm noch nicht kannte. er erzählte mir, er hätte ganz früher häufig comics vertont.


outtake 2: christoph wittelsbürger mit comic-stimmen

in dem trailer hört man das natürlich nicht deutlich, es soll ja ein feuerwerk der klänge und stimmen sein. allerdings, wenn ich mir den 2004er trailer anhöre, muss ich selbstkritisch sagen: zu komplex gemischt damals. immerhin setzt sich die hauptsprecherin gut durch:


tolle idee – was wurde draus? trailer vom april 2004

man kann sich fragen, ob man nach 10 jahren nicht das sounddesign, also die musik neu machen soll? das ist ein balanceakt. ich plädiere dafür, wenn die musik nicht völlig überholt ist, alles besser dabei belassen. denn es ist der wiedererkennungseffekt bei musik nicht zu unterschätzen. es gibt kollegen in der redaktion, die den trailer sogar singen, obwohl da gar nicht gesungen wird. die melodie gräbt sich ins gedächtnis ein. etwa 10 jahre lang lief in forschung aktuell ein jingle, der mit einem sägenden geräusch begann. dagegen gab es anfangs, so ca. 1998, kritische hörerpost. das sägegeräusch wurde aber zum markenzeichen. erst nach 10 jahren haben wir das sounddesign komplett ausgetauscht. siehe → hier.

ein beispiel, wie man mit sounddesign nicht umgehen sollte, ist das WDR zeitzeichen. das wurde jahrzehnte lang mit einem sehr markanten morse-design eingeleitet, bis beim ausbau von WDR 5 zum vollprogramm alles “aufgefrischt” wurde. der damals völlig neue jingle für die reihe hatte mit dem alten nichts mehr zu tun und war zudem so belanglos ins WDR 5-gefüge hineinkomponiert, dass er zahlreiche revisionen durchlief und heute noch belanglos klingt. in der werbeindustrie nennt man das “zerstörung einer marke”.

übrigens fand ich jetzt beim bauen des 2015er “tolle idee”-trailers zwar die bausteine des alten jingles von 2004 auf einer backup-DVD (siehe foto), nicht aber fand ich die bausteine der musikkomposition. die musik hieß irgendwie anders, ich weiß nicht mehr, wie, und ich müsste lange suchen, um das cubase-projekt dafür zu finden. was ich heraushöre: ich war damals im absynth-rausch – absynth ist ein software-synthesizer, den ich heute noch gern einsetze. das musikalische kernthema ist in c-Dur, denn wir wollen ja eine “tolle idee” feiern, und den rhythmus treibt ein arpeggio an. das arpeggio klingt heute noch sehr okay.

kompletteE_auf381backup-DVD von 2004. über eine katalogsoftware schnell zu finden. die 381 eben ;-)

populärwissenschaft mit der ästhetik der 1950ies

bei ebay gab’s eine ausgabe der westermanns monatshefte aus den 1950er jahren; ich kannte bisher nur viel viel ältere ausgaben dieser kulturillustrierten. in der ausgabe 4 (also april) 1954 ist ein artikel des deutschen wissenschaftsjournalisten und ingenieurs heinz gartmann über flugzeugantriebe zu lesen, aus dem die liebe zum plastischen bis drastischen vergleich spricht. der georg westermann verlag beauftragte den grafiker heinz kiessling (namensgleich mit einem komponisten), die kraftverhältnisse zu illustrieren, und dies hier ist eine von vier grafiken, die das ganz in der ästhetik der 1950er jahre tun.

Heinz-Kiessling - Flugzeugantriebe - 1954 - Westermanns Monatsheftepopulärwissenschaftliche illustration von heinz kiessling, in: westermanns monatshefte 4/1954

links das größte damals verfügbare passagierflugzeug, die saro princess, rechts die einpropellermaschine der gebrüder wright. mit dem großflugzeug konnte man demnach eine stadt wie freiburg mit strom versorgen oder 10 lokomotiven in einer sekunde einen meter hochheben (richtig gedacht: kraft mal weg!). die kleine maschine rechts beleuchtet nur ein haus und hebt ein 18 zentner schweres (also federleichtes) auto in einer sekunde einen meter hoch.

das princess luftboot, von dem der autor so begeistert war, war übrigens eine fehlkonstruktion. man bekam die 10 motoren (düsen und propeller) nicht in den griff. nach drei exemplaren gab der britische hersteller die princess auf.

westermanns monatshefte wechselten mehrfach ihren namen. bei der bayerischen staatsbibliothek gibt’s einige frühe exemplare in digitaler form, etwa → diese exakt 90 jahre ältere.

stern-kolumne mit wackligem einstieg

über die empfehlung einer facebook-freundin kam ich zu der kolumne im STERN von Meike Winnemuth. in der sie weibliche körperteile beschreibt, die unter schönheitsdruck kommen. die side boobs gehören dazu ebenso wie die bingo wings. was kolumnisten brauchen (und ich spreche hier auch von mir selbst), ist ein schmackiger einstieg. winnemuth nutzt dafür ein, wie sie sagt, erst kürzlich entdecktes körperteil, nämlich ein bändchen an der seite des knies:

Neulich wurde von belgischen Chirurgen ein brandneues Körperteil namens Anterolaterales Ligament entdeckt, ein Band, das an der Außenseite des Knies für Stabilität sorgt. Das klingt doch auf Anhieb ziemlich nützlich für Fußballer, Teilnehmer bei “Let’s Dance” und andere tragende Säulen unserer Gesellschaft. Um so verblüffender ist es, dass dieses schlecht versteckte, weil immerhin außen liegende Bändchen in vier bis fünf Jahrtausenden Medizingeschichte völlig unbekannt geblieben ist, obwohl doch gefühlt jedes fünfte Männerknie schon mal nach einem obligatorischen Freizeitkicker-Kreuzbandriss aufgeschlitzt worden ist. (Meike Winnemuth im Stern vom 24. November 2013)

wer so etwas liest, wird am nächsten tag beim joggen an dieses bändchen denken, und im büro oder in der schule auch, wenn über fußball oder bergwandern gesprochen wird; er (oder sie) wird denken, wie blöd doch die wissenschaft ist, dass sie mit all ihren CTs und MRTs erst jetzt dieses band sieht!

PaulSegondPaul Segond

aber es ist grundsätzlich falsch. denn das anterolaterale bändchen wurde vor fast 150 jahren entdeckt und beschrieben, nämlich 1879 von Paul Ferdinand Segond, man wusste nur nicht genau, wozu das ligament nütze war, was es tat. das hat man nun herausgefunden. ein ganz normaler vorgang: von zahllosen körperteilen weiß man nicht, was sie genau tun, man denke nur an die kolumnen im gehirn oder den blinddarm. an der berichterstattung über dieses forschungsergebnis  sieht man das niveau der medien:

  • der fernsehsender N24: “Unfassbar, aber wahr: Beim Menschen ist ein neues Körperteil ausfindig gemacht worden.”
  • österreichischer rundfunk ORF: “Neuer Körperteil im Knie entdeckt.”
  • tageszeitung Der Standard: “Belgische Forscher berichten über neuen Körperteil im Knie.”
  • tageszeitung Die Welt: “Chirurgen entdecken ein neues Körperteil.”
  • tageszeitung The Mirror: “New knee ligament discovered.”
  • tagezeitung Daily Mail: “Scientist discover a new body part.”
  • International Business Times: “New ligament discovered in human knee.”

ganz anders dagegen Das Ärzteblatt (“Chirurgen beschreiben neues Band am Knie.”) oder Science Daily (“Surgeons describe new ligment in the human knee.”)

es kann sein, dass sich die fehleinschätzung über nachrichtenaggregatoren wie die von 8 millionen “gefällt mirs” gestreichelte facebook-seite IFLS verbreitet hat. für den kolumnisten keine entschuldigung. sie muss schon die quelle lesen. hier ist sie: Anatomy of the anterolateral ligament of the knee (in PubMed 2013). und dieser text nennt als allererstes im abstract das jahr 1879 und herrn segond, wie es sich gehört.

woran starb dr. paul segond wohl? an einem kreislaufkollaps nach einer niereninsuffizienz. (new york times vom 28. oktober 1912)