the cameraman | 1928

auf der suche nach dem kameraschwenk (siehe letzter eintrag, “the goat”) sah ich mir buster keatons letzten stummfilm an, the cameraman von 1928 (regie: ed sedgwick). dagegen wirkt “the goat” von 1921 wie eine sehr frühe fingerübung. zwischen den beiden filmen liegen welten; für keaton bedeutete der aufstieg zur filmproduktionsfirma MGM die karrierekrönung – allerdings widerrief er dies später rückblickend und nannte die verpflichtung bei MGM seinen größten fehler. grund war, dass ihm MGM alle freiheiten nahm. sein erster film bei MGM, in dem er verdeckt regie führte, eben the cameraman, ist davon noch unberührt und ein meisterwerk.

The_cameraman_posteroffizielles MGM-poster für (den schwarzweißfilm) the cameraman von 1928

kameraschwenks fanden sich 1928 bereits in den ersten filmlexika als fester insiderbegriff: “camera pan”. in keatons film nehmen schwenk-szenen etwa 1/4 ein; meistens steht die kamera, fest fixiert, auf ihrem stativ. zu den beeindruckendsten szenenfolgen gehören kamerafahrten (also keine schwenks) von der oberen etage zur unteren etage eines doppeldeckerbusses, während der bus durch manhattan fährt. die filmgeschichtliche premiere einer kamerafahrt in einem gebäude fand vermutlich bei murnaus der letzte mann statt, wo die kamera im aufzug stand; bei keaton fährt sie über mehrere stockwerke hinweg dem hauptdarsteller nach, der die treppenschluchten hinunterrauscht, auch bis in den keller. diese szenenfolge beginnt bei etwa 24 minuten, und der film ist – natürlich – bei archive.org komplett zu sehen, nämlich → hier.

der film galt bis 1968 als verschollen, denn es gab bei MGM keine negative mehr davon. seitdem sind aber zwei positivkopien (also vorführfilme) aufgetaucht, die zweite im jahr 1991. der film, wie wir ihn heute in seiner vollen länge von knapp einer stunde (das galt als langfilm) genießen können, ist fast komplett; vermutlich fehlen zwei szenen. auch hier wieder einige einzelbilder, wegen ihrer feinen ästhetik (legende findet sich darunter):

keaton-cameraman-stills1) keaton im yankee-stadion, aber die yankees spielen diesmal auswärts. 2) mit einem affen auf der schulter und dem kamerastativ unterm arm. 3) traurige geliebte (marceline day). 4) senkrecht durchs bild verlaufende risse des filmpositivs im anfangstitel. 5) hymne auf den pressefotografen im ersten zwischentitel. 6) und 7) aus der anfangssequenz: kameramänn im kriegsgebiet. 8) ebenfalls am anfang des films: ein kameramann filmt aus schwindelerregender höhe über manhattan. 9) keaton und day an seiner kamera. 10) keaton und day. 11) und 12) kameraschwenks: keaton rast durch die stadt, um day zu sehen.

buster keaton | bildästhetik

220px-Keaton_Goat_1921offizielles kinoplakat, 1921

buster keaton war 6 jahre jünger als charles chaplin und startete seine karriere, als chaplin schon usa-weit berühmt war. 1921 besaß er ein eigenes studio und drehte in dem jahr 6 relativ kurze filme, unter anderem “the goat“. der film ist im internet archiv → archive.org zu finden.

filme wie diese sind, nicht weil sie ohne ton sind, sondern weil sie aus einer anderen zeit mit anderer technik und anderer humorlage kommen, nicht komisch, die dramatisch gedachten szenen für uns eher peinlich übertrieben usw. aber spannend – spannender als den bewegtfilm – fand ich, den film ab und an anzuhalten und mir das standbild anzusehen. das funktioniert fast immer, denn 1921 schwenkte man kameras noch nicht, also waren die szenen so angelegt, dass alles reinpasste. wenn eine person von rechts nach links über die straße ging, stellte man die kamera so auf, dass beide straßenseiten zu sehen waren. häufig stehen die kameras orthogonal zur handlung, in den beiden abbildungen unten blickt die kamera senkrecht auf die wand. übrigens ohne stürzende linien, wie man sie heute von weitwinkligen smartphone-objektiven kennt (kissenverzerrung).

in den einzelbildern zeigt sich keatons meisterhafte kameraführung, die bildästhetik ist klarer (und damit vielleicht auch altmodischer?) als bei chaplin-filmen aus der zeit. hier drei beispiele, wobei das dritte vor allem deswegen interessant ist, weil keaton darin einen sprung über die schulter von joe roberts durchs oberlicht über der tür vollzieht. das kinoplakat verspricht übrigens, wie damals häufig, eine ganz andere handlung. die erotik spielt praktisch keine rolle, der klamauk, der dem plakat fehlt, eine umso größere.

keaton - goat - 1keaton (links, hinter zwei schaufensterpuppen) steht für einen laib brot (rechts) an.

keaton-goat-2bis zum exzess durchgezogen: keaton legt sich unters auto, um von den polizisten nicht entdeckt zu werden.

keaton-goat-3sprung vom stuhl über den tisch über den polizeichef durchs oberlicht der tür – kein stunt!

charlie chaplin (as) “a woman” | 1915

Charlie-Chaplin - A-Woman - 1915charlie chaplin, als frau verkleidet, in “a woman”, 1915

bei archive.org fand ich heute den kurzfilm “a woman” vom juli 1915. (man muss den monat nennen, weil chaplin allein in diesem jahr 13 filme gedreht hat.) er war damals 26 jahre alt und als schauspieler berühmt. kurz zuvor, in “the tramp” vom April 1915, fand er seine rolle, die sein markenzeichen wurde.

1914 begann chaplin, selbst regie zu führen, auch in “a woman”. hauptdarstellerin ist edna purviance., die chaplin in einen café ansprach, bildhübsch, aber anfangs für die schauspielerei ungeeignet fand. sie spielt hier eine junge frau, die chaplin auf einer bank in einem park trifft. es gibt zahllose verwicklungen, zwei brutale männer, die jeder frau hinterher jagen, wasserschlachten, prügeleien. um sich vor dem vater der jungen frau zu retten, verkleidet sich chaplin als frau. edna bekommt darüber einen lachanfall. es war der dritte film, in dem chaplin sich als frau verkleidete; später tat er das nie wieder.

“a woman” muss man als fingerübung ansehen; der film reicht nicht an chaplins große filme heran, die kurz danach folgten. hier ist er in ganzer länge – 26 minuten.


charlie chaplin: “a woman”. gefunden bei archive.org

gelb auf schwarz

durch zufall habe ich vor zwei, drei jahren ein tiefes schwarz entdeckt, was sich bei bestimmten motiven, die ich fotografiere, gut macht, wie in diesem foto von vorgestern:

gelbAufSchwarzgelb auf schwarz. foto: m.s./dpa/picturealliance

ich erzähle später bei gelegenheit mal, wie dieses schwarz zustande kommt. mit einem schwarzen bastelkarton geht es nämlich nicht. die blüten sind übrigens winzig, aber das spielt für die bildaussage keine rolle.

ausgebloggt | an die eigene nase gefasst

oft irre ich mich, und hier habe ich mich geirrt: am 5. mai 2007 sprach ich in unserer glossenrubrik “das digitale logbuch” (computer und kommunikation, deutschlandfunk) davon, dass wir ausgebloggt haben, es reicht mit dem bloggen:

→ nachlesbar hier.

2007, sage ich als teilrechtfertigung, war der begriff des blogs noch vermischt mit dem kommentar unter einem artikel auf einer webseite. seit längerem wird klar unterschieden: das ist der kerntext (der blog, das web-log, das internet-tagebuch), und darunter schreiben die leser ihre kommentare. würde ich die glosse heute neu schreiben, ich würde sie “auskommentiert” nennen. denn das hatte ich im grunde damals mit ausgebloggt gemeint.

Leserkommentare-SZ

leser der süddeutschen zeitung kommentieren das aus für die zdf-show “wetten das”. haben die kommentare mehrwert?

die kommentare sind in aller regel dermaßen banal, dass sie das netz nur vermüllen. selbst bei artikeln in so genannten anspruchsvollen zeitungen wie der new york times oder bei anspruchsvollen themen wie einer rede lenins auf youtube sind 99% der kommentare reine network pollution. die rede, in der lenin den kapitalisten klassenfeind nennt, und den arbeiter freund, setzt sich mit seiner haltung zur (wie es damals in europa gern hieß:) “judenfrage” auseinander. lenin sagte quasi: wenn ein jude ausbeuter ist, sind wir gegen ihn, wenn er arbeiter und sozialist ist, sind wir für ihn. soweit, so gut. nun einige der kommentare zu dem →bebilderten originalton:

  • Und leider haben das die Russen bis heute nicht kapiert, das ihr diesen Personenkult um seine Person sicher ablehnte.
  • LENIN LEBT;GROSSER BESTER GENOSSE LENIN!!
  • Ein sehr interessanter Kerl der Lenin und er hat schon recht mit dem was er sagt, wirklich sehr bewundernswert !
  • ich wollte schon immer mal seine stimme hören
alles lieb und nett, aber bringt es einen funken zusatzinformation? eigentlich ist es nur ein nachhallen und nachlallen und ein sich auf der couch wohlfühlen; auf dieser couch möchte ich gern nicht sitzen. deswegen: ausgebloggt ist noch lange nicht, auskommentiert aber schon.

mad men | schlüsselepisode

250px-Mad_Men_Season_6,_Promotional_Postermad men, poster der sechsten staffel

dank → karl kenne ich mad men seit der ersten staffel. jetzt bin ich in verzug, vor allem weil house of cards, staffel 2, dazwischenkam. außerdem fand ich mad men’s sechste staffel sehr triste. und dann kam gestern die bemerkenswerte folge #11 mit dem titel “favors”.

bemerkenswert deswegen, weil hier aus verschiedensten ecken fäden in einer sehr kurzen, ein tabu brechenden szene zusammenlaufen. die szene zeigt don draper, den helden der serie, beim sex mit seiner hausnachbarin, und erwischt wird er dabei von seiner pubertierenden tochter. diese szene ändert für den weiteren verlauf der serie vermutlich alles. zu einem so drastischen mittel wurde in der story seit 5 staffeln bisher nicht gegriffen, und ich frage mich, was die drehbuchautoren (bei der genannten folge semi chellas und matthew weiner) damit im schilde führen und wie sie aus dieser nummer wieder herauskommen. sie haben die szene hervorragend angebahnt; alle beteiligten sind schuldbeladen, auch die tochter, die wissentlich in ein fremdes apartment eindringt – aber natürlich nicht, um ihren vater zu treffen. ihr vater ist über das erwischtwerden durch seine tochter so außer sich, dass den reste der episode braucht, bis er gegen ende der tochter zuhause (durch die von ihr verschlossene tür hindurch) sagt, sie hätte da sicher etwas missverstanden, er habe die nachbarin nur trösten wollen. dies zielt darauf, die frauen-kleinhalte-thematik, die mad men seit der ersten staffel durchzieht, wieder aufzugreifen. die frauenfeindlichkeit so weit getrieben, dass für die tochter der eindruck entsteht, wenn sie einmal großen kummer hat, hilft nur sex von irgendwem.

ich dachte, zwei episoden vor dem season finale wir das das neue leitthema, wird es aber nicht. zwar zieht sich die tochter vor dem vater nun komplett zurück, aber der große donnerschlag bleibt aus, andere themen werden wichtig.

insgesamt betrachtet, ist mad men seit staffel 3 oder 4 am ende, es kommt nichts wirklich neues. folge 11 in staffel 6 ließ mich wieder aufhorchen.

rundfunkgeschichte | bbc hand book 1929

gestern einige wikipediaeinträge mithilfe des bbc hand books 1929 geschrieben. das hand book ist ein wunderbarer reader für frühe, aber nicht ganz frühe rundfunktechnik und -ästhetik.

bbc hand-book 1929

Fernsehgottesdienste gehen auf Rundfunkübertragungen von Gottesdiensten zurück. Mit diesen hatte die BBC bereits wenige Jahre nach dem Start des Rundfunks 1923 reichlich Erfahrung. Das BBC Hand Book von 1929 widmet den „Broadcasts from Cathedrals“ (Übertragungen aus großen Kirchen) ein eigenes Kapitel, wo unter anderem die Mikrofonierung beschrieben wird:

„Die Hörer der Sendungen aus der Kathedrale von Canterbury haben sicher die vielen Schwierigkeiten kaum wahrgenommen, die wir mit ungünstigem Resonanzhall seit der ersten Übertragung hatten. Heute ist die Balance zwischen Orgel und Chor praktisch perfekt, aber es steckte dahinter erhebliches Experimentieren. Normalerweise sind vier Mikrofone im Einsatz. Eine feste Verkabelung besteht nur zur Kanzel; die anderen richten sich nach den jeweilig aktuellen Gegebenheiten.“

1923 startete der Rundfunk. Die Rundfunkanstalten trennten schon wenig später den Kontrollraum vom Aufnahmeraum ab. Zuvor standen Schauspieler und Techniker in einem Raum um das Mikrofon herum. 1929 spricht die BBC in ihrem Hand Book erstmals von „‚Mixing‘ Studios“ und erklärt den noch in Anführungszeichen gesetzten Begriff so: In längeren Rundfunkproduktionen wie zum Beispiel Hörspielen, die damals live aufgeführt wurden, gab es zwei Typen von Klangquellen – die Sprechstimmen und die Geräusche. Ursprünglich waren beide in einem Raum untergebracht, aber die Hörer beschwerten sich, bei lauten Effektgeräuschen der Erzählung nicht mehr folgen zu können. Als Konsequenz lagerte der Londoner Sender die „Noise Effects“ (Gewitter durch große Metallfolien, Pferdegalopp durch Stein auf Stein usw.) in einen gesonderten Raum aus; die Effektemacher hörten über Kopfhörer mit, was im Sprecherraum geschah.

„Die Klänge beider Studios wurden über Leitungen an ein zentrales Schaltpult übermittelt, das der leitende Produzent bediente. Dieser war dadurch in der Lage, die beiden Tonquellen in den exakt benötigten Mengen zu ‚mischen‘.“

Das Konzept war so erfolgreich, dass der Sender große Produktionen Ende der 1920er Jahre mit mehr als drei Studios fuhr. In einem saß ein Orchester, in einem anderen eine Band; auch die Schauspieler wurden in Gruppen getrennt, um verschiedene Akustiken herzustellen. Das Mischpult hieß damals noch „Switchboard“, also Schaltpult.

Als um 1930 das Schneiden von Schallplatten Standardtechnik zum Konservieren von Klängen in guter Qualität war, schossen Plattenfirmen und damit zusammenhängend Musikstudios aus dem Boden

1923 startete der Rundfunk. Bühnenschauspieler und Kabarettisten, die nun im Radio auftraten, fanden das Mikrofon irritierend. Zu einem Mikrofon, statt zu einem Publikum zu sprechen, war gewöhnungsbedürftig; außerdem waren Mikrofone in den späten 1920er Jahren bereits so empfindlich, dass man nicht mehr in sie hineinschreien musste. Das BBC Hand Book von 1929 widmet dem Mikrofon ein eigenes Kapitel mit der Überschrift „My Friend Mike“ (Mike als englische Kurzform für Mikrofon):

„Ich kenne Mike schon lange. Erstmals bin ich ihm 1922 begegnet. Er hatte damals noch keinen Thron, sondern hing so herum. Ich glaube, er ist sehr empfindlich, denn man wickelt ihn in Baumwolltücher. Ich mag Mike, weil er immer so gut von mir spricht und nie krank ist und mich Menschen vorstellt, die ich ohne ihn nie kennengelernt hätte.“