Radio-Web 1928 | wie recheriert man sowas?

Die_Sendung_Nov1928_Titelblatt“Die Sendung / Rundfunkwoche” vom november 1928

in dieser letzte woche ersteigerte ich für 1 € diese rundfunkzeitschrift von 1928. sie wurde vom verlag hermann reckendorf, berlin, herausgegeben und war eine der ersten deutschen rundfunkzeitschriften überhaupt, vielleicht sogar die erste. hermann reckendorf geriet nicht nur als jude, sondern auch als verlagschef für progressive zeitschriften mit den nazis in konflikt. sie enteigneten ihn bereits 1933; im selben jahr, wahrscheinlicher aber 1936 nahm sich reckendorf das leben.

in dieser ausgabe, die eher zufällig zu mir (und dadurch jetzt in die wiki commons und dadurch in die wikipedia) kam, gibt es eine werbeanzeige der firma RADIO-WEB. erstaunlicher name! die firma bot alles ums neue medium radio herum an, von katalogen über lehrbücher bis zum kostenlosen aufladen des radio-akkus – denn das ans stromnetz angeschlossene rundfunkgerät kam erst in den 1930er jahren auf. hier die werbung:

Radio-Web_1928“Radio-Web” 65 jahre vor dem world wide web

was hatte es damit auf sich? in der anzeige ist die postadresse zu lesen: WEB-Haus, Berlin S42 [also Kreuzberg], Prinzessinnenstr. 16. bei der bildersuche nach dieser adresse findet man nur neue, nach dem krieg gebaute häuser, nichts deutet auf ein web-haus hin. die web-suche nach “radio-web” bringt auch nichts: vor allem kaufangebote für internetradios und tausendfach “web 2.0”. eine suche angesichts eines so prominenten worts (web) ist ähnlich kompliziert wie die nach einem stefan schmidt oder peter brook.

in solchen fällen lohnt sich die suche in den digitalen bibliotheken, zu allererst also bei google books. dort findet man unter der postadresse zwar kein “web-haus”, aber immerhin kein world wide web, sondern den ein oder anderen handwerklichen betrieb, zum beispiel einen, der pharmazeutische geräte herstellte. gibt man in google books wörtlich ein: “berlin radio-web”, so kommt zuerst ein fachbuch über alfred döblins (auch ein jude, der 1933 mit den nazis schwierigkeiten bekam und auswanderte) roman “berlin alexanderplatz“. die autorin, anke detken (heute → literaturprofessorin in göttingen) merkt an, dass einige namen von berliner lokalitäten in der französischen übersetzung des buchs weggelassen wurden, unter anderem die erwähnung des “web-hauses”:

berlin-alexanderplatz-radio-web-hausanke detken: döblins berlin alexander platz übersetzt. palaestra, band 299

in der online lesbaren “fischer klassik plus”-ausgabe von döblins roman findet sich genau diese stelle:

“Gegenüber am Häuschen von Radio Web – bis auf weiteres laden wir einen Akku gratis – steht ein blasses Fräulein …”

in anderen büchern über döblins alexanderplatz werden die derlei lokalitäten näher untersucht; dabei kommt heraus, dass radio-web eine gmbh war. an anderer stelle lese ich, dass es möglicherweise fachliteratur aus diesem radio-web-häuschen gab:

büscher-1938den “H. Büscher” kann ich nirgends finden. führt jetzt auch zu weit…

zurück zur zeitschrift. sie verstand, für die zeit ganz typisch, unter dem rundfunkhörer den radiobastler. menschen ohne technik-affinität konnten sich für den rundfunk 1928 noch nicht so richtig erwärmen.

die-sendung - november 1928 - seite-604“die sendung”, s. 604: schaltpläne für den radiobetrieb

 

hobby | populärwissenschaft 1957

es nannte sich “magazin für technik” und war in den 1950er jahren nicht nur viel gelesen, sondern eine institution. wer sich für autos und technik interessierte, bekam hier schöne bilder und infos. ich habe vor jahren einige exemplare via ebay für paar euro ersteigert, dies hier ist die ausgabe vom märz 1957.

hobby-zeitschrift-märz-1957zeitschrift hobby, märzausgabe 1957, ehapa-verlag stuttgart

die hefte sind zwar kleinformatig (DIN A5), aber dick; die abgebildete ausgabe hat 144 seiten. jedes exemplar dieser zeitschriften beamt uns direkt in diese zeit:

die dritte seite zeigt eine “Torpedo-Kofferschreibmaschine Modell 20″ und bietet eine upgrade-option, die damals so formuliert wurde:

“Alles [Bezahlte] wird auf die nächste Maschine [die Sie bei uns kaufen] angerechnet.”

wer sich den katalog bestellen wollte, musste laut dieser anzeige drei daten liefern, was damals sicherlich nicht groß auffiel, aber für den schreibmaschinenkatalogversandt eigentlich überzogen war: außer name und adresse (postfach und postlagernd nicht erlaubt; man wollte offenbar kunden erreichen, die ordentlich in miete lebten und einen eigenen briefkasten hatten) wollte die schreibmaschinengroßhändler Günther Schmidt KG Frankfurt auch beruf und geburtsdatum wissen.

es wimmelt in dem heft von kleinen bastlertipps. da gibt es etwa ein vierseitige anleitung zur konstruktion eines hockers oder wie man stromkabel sauber isoliert oder ein “Transistor-Tonbandgerät mit Taschenlampenbatterie – der neue Schlager” für kinder baut, genannt “Bambinophon”.

die anderen großen themen des hefts sind

  • ein kommentar über die ausufernde typenvielfalt bei zahnbürsten, waschschüsseln und autos. (sinngemäß: der kapitalismus funktioniert besser, wenn man klare marken führt, statt das angebot beliebig groß werden zu lassen.)
  • ein kino mit rundum-projektion und 4-kanal-rundum-sound
  • bau des hooverdamms in den usa
  • porsche carrera test (mit 100 ps “vom sanften Lamm zum wilden Tiger)
  • strahlflugzeug mit hackantrief (die caravelle)
  • eigenheim vom fließband
  • 8-zylinder-einspritzssystem bei chevrolet
  • atomspaltung

dummerweise hatte ich das heft heute in der u-bahn dabei und kam aus dem lesen gar nicht mehr heraus. mehr davon später.

drehorgeln und braunkohle-raubbau | ein besuch bei gerhard kern

der name “gerhard” fiel in der letzten zeit immer wieder, wenn ich mich mit marion (aka Frau W) über die seltsamen maschinen unterhielt, die sie neuerdings auf ihren performances nutzt. im juni 2013 trat sie mit dem gamut ensemble im kölner stadtgarten auf, und verarbeitete dabei live die klänge eines glockenspiels, genauer: eines carillons – gebaut von, natürlich: gerhard.

Gerhard_Kern_2013

 gerhard kern mit dem hammer seines vaters, eines schuhmachers. heute fotografiert in seiner werkstatt

jetzt besuchte ich gerhard kern in buir, und er erzählte mir zunächst einmal, auf welch problematischem gebiet zwischen köln und aachen wir uns da befinden, nämlich mitten im braunkohleabbaugebiet, dem, so gerhard, der einst größte wald nordrheinwestfalens weichen muss. der seit jahrhunderten betriebene und heute noch extremer umweltzerstörende abbau werde von RWE mit verzerrenden energiepolitischen argumenten gegen alle lokalen proteste mit werkschutz und polizeigewalt so vehement durchgesetzt, dass den bürgern der gegend der kragen platzt. ich fuhr dann durch das geisterdorf manheim – über 1000 jahre alt muss es bis 2022 den abräummaschinen weichen. 4km südlich bei kerpen befindet sich ein bizarr neumodisches neubaugebiet mit dem, wenn man die ganze geschichte nicht kennt, harmlosen namen “neu-manheim”.

und dann machte gehard kern musik, musik, musik. auch auf selbstgebauten instrumenten wie einem straßenorchestrion. diese riesenorgel fährt er in einem autoanhänger zu veranstaltungsorten. drei videos habe ich mit meinem smartphone, also ohne großen aufwand, aufgenommen. bei allen dreht es sich. drehorgeln eben:

video 1 | video 2 | video 3

auf dem weg nach hause fuhr ich einen umweg von einem halben kilometer, nämlich in eine sackgasse, bis zum gesperrt/verboten-schild von RWE. das wortlose und musiklose kurzvideo nenne ich mal “falsche richtung, käfer!