swingin’ horror | minihörspielreihe für SWR 2 jazz

horror-vignetten_hans-jörg brehm

die letzten wochen beschäftigte mich u. a. eine → vierteilige minihörspielreihe für die jazzredaktion im SWR hörfunk. sie kam so zustande, dass die redakteurin julia neupert eine vor einigen jahren in WDR 3 “tonart” gesendete horrorserie von mir gehört (und damals sogar als moderatorin begleitet) hat und sich das, was ich da für die klassische musik durchexerzierte, für den jazz vorstellen konnte. in “tonart” hieß die reihe “der tote ton“. es sprach julia hummer:


WDR 3/tonart – “der tote ton”, anfang von episode 2: blutiges f-moll

für den jazz dachten julia und ich uns “swingin’ horror” als titel aus. grafisch begleitet wird die am 2. januar 2015, von 20.00 bis 24.00 uhr im rahmen einer gefährlichen jazznacht ausgestrahlte reihe von, wie könnte es anders sein, hans-jörg brehm.

ohne zuviel zu verraten, hier ein kleiner blick hinter die produktionskulissen. die vier storys haben eine zentrale stimme, die uns durch das geräusch-feuerwerk ruhig hindurch führt. diese stimme stammt von der schauspielerin und kabarettistin tanja haller. hier ein outtake aus unserer aufnahme im studio des deutschlandfunks in einer einsamen nacht:


tanja haller beim anlegen des haupttexts, episode 2: die sprechende basstrommel

das zweite akustische standbein der horrorgeschichten sind laiensprechern, die ich an einem tag im SWR in baden-baden aufnahm, fast alle sind redaktionsmitglieder in SWR 2. das ist julia im studio, wie sie für episode 3 den soft-jazz haucht:


julia neupert haucht den skat-gesang für episode 3: my favorite things

gestandene redakteure mussten so tun, als stemmten sie klaviere und grunzten wie ein flügel grunzt:


laiensprecher im SWR-studio. der gequälte flügel von episode 1: die qualen des flügels

die kinder von SWR-kollegen spielen die bösen zwillinge in der basstrommel. bei dieser aufnahme war gebannte stille im studio; ich saß mit den kindern (6 und 10) an den mikrofonen; toll, wie sie sprachen:


zwei kinder sprechen die zwillinge in der basstrommel von episode 2

in der mischung aber stellte sich heraus, dass es gar nicht gefährlich klang, sondern sehr lieb und nett. ich habe einen ganzen tag lang herumprobiert, vor allem mit veränderten tonhöhen der kinderstimmen gespielt, um sie für die horrorgeschichten dämonisch klingen zu lassen. zum beispiel mischte ich die originalaufnahme mit sich selbst, aber eine oktave tiefer gestimmt. da war der kinder-effekt weg, es klang wie der teufel persönlich, männlich, erwachsen, mit kindmäßigem oberton. das ging also auch nicht.

am nächsten morgen hatte ich eine idee. griff ich zu melodyne, einer software, mit der ich getrennt tonhöhe und formanten (das ist das tonhöhen-unabhängige merkmal, das eine stimme jung oder älter erscheinen lässt) verstimmen konnte. ich stimmte die kinder ein wenig höher, die formanten aber viel höher. dabei entstanden artefakte, die ich hätte ausbügeln können. ich ließ sie aber stehen. es klang so:


die kinderstimmen, höher und mit artefakten

das sind kinder, definitiv, und irgendetwas stimmt nicht mit ihnen. das macht diese bearbeitung deutlich. bei diesen stimmen gruselt es schon ein bisschen. jetzt ging ich auf die suche nach einem sound effekt, der das unterstreicht.

swinging-horror_absynthkomposition der dramatischen kinderstimmen-musik

als die stimmen standen, ging alles sehr schnell. ich griff zum software-synthesizer absynth und spielte auf dem midi-keyboard, mit massivem einsatz des controlers (also des rädchen links) diesen sound:


mit dem keyboard gespielter effekt

der an die geschlossene psychiatrie erinnernde raumeffekt nennt sich “aetherizer” und ist eine spezialität von absynth. absynth wurde von dem bei paris lebenden amerikaner brian clevinger programmiert. nun legte ich die kinder auf eine andere spur in cubase, dem kompositionsprogramm, spielte den sound effekt quasi synchron dazu. das kam dabei heraus:


ausschnitt: die kinder in der schlussmischung (episode 2)

swinging-horror_wavelab“swingin’ horror”, episode 2, produktionsausschnitt aus der gesamtmontage

julia fotografierte am ende der audio-aufnahmen in baden-baden einen teil des teams. hier der schnappschuss, als alles im kasten war. von links nach rechts: dominik herzog (azubi; er spielt unter anderem tonk, den typen mit der basstrommel in episode 2), michael ostafel (redakteur SWR 2 unterhaltung; er spricht z. b. den jazzflügel in episode 1), reinhard ermen (leitet SWR 2 sinfonie, oper und chor), ich, dann eberhard stett (referenz SWR 2 programmleitung) und rudjard hasel (toningenieur; rudjard spricht in den stücken nichts, denn er bediente das pult):

das schlussteam der aufnahmen im SWR. foto: julia neupert

worthülse “autismus” | minihörspiel wdr 5

Axonometric_cubes_withChaossymbolbild für die mischung aus chaos der umwelt und innerem verlangen nach ordnung. grafik: m.s.

meine redakteurin in wdr5/politikum tamara und ich überlegten am letzten freitag, was das dramolett, also das tagesaktuelle minihörspiel für den heutigen mittwoch sein könnte. wir müssen uns so früh absprechen, weil sich so ein stück nicht an einem tag herstellen lässt. die schritte sind:

  • themenfindung (freitag)
  • sprecher über die wdr sprecherdispo und den sehr kenntnisreichen jörg kernbach anfragen bzw. bestellen (freitag)
  • plot überlegen (wochenende)
  • manuskript schreiben und besprechen (montag)
  • die sprecher aufnehmen (dienstag)
  • produktion, also schnitt, musikkomposition, mischung (dienstag)

das stück war dienstag nachmittag fertig. ein sehr ernstes stück, das den autistic pride day am mittwoch zum anlass nimmt, aus dem innenleben einer autistin zu berichten, die den gebrauch des worts “autismus” als worthülse zutiefst verurteilt. ausgangspunkt dafür war für mich ein blog der im letzten jahr verstorbenen kölner autistin sabine kiefner. vorn und hinten habe ich das motto ihres blogs zitiert:

Das größte Problem autistischer Menschen ist nicht der Autismus, sondern das Leben und Zurechtfinden in einer nichtautistischen Welt.

außerdem habe ich kernargumente aus ihrem offenen brief an stefan niggemeier paraphrasiert, wo sie dessen leichtfertige benutzung anprangert. der größte teil des texts ist rein fiktiv, von mir; es entsteht eine kleine medienkritik von faz über zeit bis bild. tanja haller spielt beide weiblichen rollen, martin groß spricht die zitate.


dramolett “worthülse autismus” mit tanja haller und martin groß

einiges zur aufnahme- und mischtechnik. die schauspieler nahm ich in einem wdr-studio auf. der kollege am pult musste immer wieder die empfindlichkeit des mikrofons ändern, weil die stimmen meist sehr sehr leise sprechen, manchmal aber sehr laut sind. einige takes hat tanja vom mikrofon weg gesprochen; es klingt dann, als würden zwei personen miteinander sprechen, in verschiedenen räumen, obwohl es derselbe aufnahmeraum war. diese stellen sind am anfang und am schluss zu hören, wo die protagonistin zu tanja sagt, sprich langsam, und tanja sie beruhigt.

im screenshot unten ist das mischfenster zu sehen. die zahl der spuren – hier waren es sieben – schwankt je nach produktion. es können auch mal nur vier sein, in anderen fällen 15. ich finde, einer produktion sollte man die zahl spuren nicht anhören.

montageAutisten_screenshotmisch-fenster für die produktion des minihörspiels (bei klick wird es größer)

im oberen bereich sieht man die gesamte komposition. der große fensterinhalt darunter zeigt die einzelnen aufnahmeschnipsel mit ihren wellenformen. auf der ersten spur sitzt tanja, die nach innen gerichtete hauptstimme. sie ist die leitstimme, sie erzählt die geschichte; ich habe ihr deswegen eine minimale kompression gegeben, was man am “fx” links in dieser spur sieht. auch die zweite spur hat einen fx, nämlich einen hall. es gibt in dem hörspiel einige stellen, wo martin “autisten” ruft; diese befinden sich in dieser spur. spur 3 ist leicht links gepegelt; hier habe ich stimmen untergebracht, die ich räumlich trennen wollte. ebenso in spur 4, leicht rechts gepegelt. auf dieser spur befinden sich auch alle autistenfeindlichen pressezitate, gesprochen sehr nah am mikrofon von martin groß.

spur 5 ist eine von mir eigens dafür komponierte musik. ich habe dafür zunächst politikerreden genommen und auf ihre “ich”s reduziert. dann wählte ich zwei (digitale) musikinstrumente – kirchenorgel und jagdhorn – aus und begleitete die politiker (westerwelle, kohl, merkel, bush, rumsfeld, schavan etc.), wie sie “ich”, “mein”, “mir” sagen, mit orgel und jagdhorn. diese musik entstand in einer so genannten sequencing software, also nicht in diesem programm. die spur ist sehr dominant, wenn man sie durch das hörspiel durchzieht. deswegen habe ich sie nur an bestimmten stellen eingesetzt, und ziemlich leise gepegelt. hier ein isolierter part daraus:


autismus-musik; ausschnitt

spur 6 besteht aus einer aufnahme in der u-bahn, direkt nach der schauspieleraufnahme, vom wdr in mein büro. mir ging im kopf herum, welche atmosphäre ich dem stück geben möchte, viele dinge wären möglich gewesen, und nahm einfach mal die atmo in der u-bahn auf, brummelte selbst dabei leise vor mich hin. hier ein ausschnitt:


summen in der u-bahn; ausschnitt

als ich diese atmo unter den text legte, funktionierte das in etwa. mir fehlte aber die wärme, die tiefe. statt die bässe in der aufnahme anzuheben, entschied ich mich für einen kunstgriff, den ich häufig anwende: ich kopierte die atmo auf die spur 7 und stimmte sie tiefer, in diesem fall um 24 halbtöne, also zwei oktaven. die beiden spuren, leicht rechts und links gepegelt, klingen zusammen fantastisch:


summen in der u-bahn; zweistimmig

das besonderen an diesen elementen auf den spuren 5, 6 und 7 ist, dass sie dem hörer kaum auffallen, weil er sich ja auf den text konzentriert, aber das ganze stück in eine stimmung hineinlenken, der er sich nicht entziehen kann. musik leistet das auch, aber meist platter.

von jungen kollegen werde ich oft gefragt, welche software ich für diese produktionen nutze. ich gebe dann meistens diese antwort: es gibt so viel gute schnitt- und mischsoftware, dass es nicht der rede wert ist, ein produkt beim namen zu nennen. dass ich mit einer älteren version von wavelab (und für die musikkomposition mit cubase) arbeite, ist wirklich nebensächlich; ich kenne dieses programme, denke mir manchmal, sie sind mir zu üppig, manchmal, sie sind mir nicht geradelinig genug, aber ich mag sie beide, und sie tun seit über 10 jahren ihren dienst.