ein noch so kompliziert aufzubauender ikeaschrank lässt den schrauber im nachgang gnädig und respektvoll zurückblicken: nicht ikea hat was falsch gemacht, sondern der kunde hat nicht genau hingelesen. nie liest er genau hin, und ikea hat dann im kollektiven markengedächtnis immer recht, ohne rechthaberisch zu sein.
was bei ikea nicht zu unterschätzen ist, ist die didaktik, die hinter jedem zusammenbau steckt. selbst völlig unbegabte (was ist das eigentlich?) menschen lernen zusammenhänge über dübel und schraubentypen. während des zusammenbaus entsteht schritt für schritt immer mehr transparenz, wie alles zusammenpasst, das möbelstück erschließt sich dynamisch mitsamt seinem innenleben. und während der schraubende (klingt besser als “der schrauber”) sich durch die anleitung schraubt und alles transparent wird, jedes scharnier verständlich, wird das objekt fertig. und kaum steht es dann da, mit schief oder weniger schief hängenden türen, ist der vorgang vergessen. den glücklichen heimwerker am nächsten tag zu fragen, wie gleich wieder diese wand mit jener wand verbunden ist, führt zu stirnrunzeln: hab ich total vergessen. und das ist gut so.
inzwischen gibt es aber neue generationen an ikeamöbeln, die nicht mehr transparent sind. man schraubt black boxes zusammen. nur so ist zu erklären, dass ein hilfe suchender kunde in einem selbsthilfeforum schreibt:
Rationell Schubladendämpfer zieht zu stark zu
Hallo und guten Abend.
Ich bin dabei meine neue Faktum Küche mit Applad-Fronten aufzubauen und habe jetzt bei einem Schrank mit Schublade ein Problem.
Der Unterschrank […] hat eine Tür und darüber eine Schublade (Rationell) mit Dämpfer. Genau bei diesem Dämpfer liegt das Problem. Die Schublade wird zu ruckartig zugezogen. Nicht leicht und sanft […], sondern mit einem kräftigen Ruck “knallt” die Schublade zu, nachdem sie erst gedämpft wurde. Was habe ich falsch gemacht? Woran kann es liegen? Hat irgendjemand eine Idee????
der “Dämpfer”, von dem er schreibt, ist ein an eine insulinspritze oder eine kleine rakete erinnendes objekt, das man tief in die schubladenschiene einsetzt. das laden einer schusswaffe ist ein ähnlicher prozess. der kunde versteht bei der komplexität dieser schiene nicht annähernd, wie die rakete arbeitet, welcher teil was tut, warum hier plastik, dort metall, warum dort drei, hier zwei nuten, spitzen, ecken und federn sind? also setzt er der bedienungsanleitung zufolge die rakete ein, es macht klick, wie’s da steht, und dann zieht dieser rationell schubladendämpfer zu stark! (es hätte zweimal klick machen müssen.) wie baut man ihn wieder aus? dazu muss man wissen, wie man bei diesem system erst die schublade ausbaut. es geht nämlich nicht einfach so, dass man sie herauszieht und dann schräg nach oben herausführt. die antwort an einen weiteren hilfesuchenden in einem anderen forum:
Also bei der neuen Version stellst du dich vor die Schublade, ziehst sie komplett raus. Wirklich bis zum Anschlag. Dann packst du links und rechts unter die Schublade. Dort kannst du so kleine graue, ich nenne sie mal “Nippel” ;) fühlen. Die ziehst du ein stück zu dir ran. Dann merkt man, dass die schublade wieder ein stück reingeht. So… dann kommt der kraftakt. Kräftig nach oben und gleichzeit nach hinten ziehen mit einem ruck. Dann geht sie raus. Ich fande die älteren versionen viel besser aber naja… muss man nicht verstehen
interessant daran sind vier aspekte:
- wegen der komplexität und fehlenden transparenz der produkte entstehen geheimwissenschaften.
- dinge, die früher reversibel waren, drohen nun, bei rückgängigmachung kaputt zu gehen.
- ikea tut in seinen bauanleitungen so, als sei alles wie früher; dabei müsste man in der anleitung zumindest erklären, ob und wie man die sachen wieder auseinanderbekommt, ohne kollateralschäden.
- und viertens: kommuniziert ikea diese probleme in form einer FAQ-seite zu jedem produkt? nein die frustrierten kunden werden in ein “ikea hej”-chatforum verwiesen, wo man sich, um schreiben und antworten zu können, registrieren muss. deswegen ziehen die meisten kunden mit ikeaproblemen – wie der erste mit den zu stark zu ziehenden schubladendämpfern – in irgendein weit von ikea entferntes selbsthilfeforum ab.
die genannte schublade an sich ist übrigens bemerkenswert (ich kenne sie):
- sie wird in einer für ikeaverhältnisse ausgesprochen dicken verpackung geliefert, weil die bauteile in ihrer komplexität eben schon fertig konstruiert und entspreched dick sind. dabei gehört die dünne verpackung zum ikea-basiskonzept—das argument, warum man zum transport keinen lkw braucht.
- das nutzvolumen der schublade ist wegen der aufwändigen schienenmechanik deutlich kleiner als bei dem vorgänger. das wird nicht kommuniziert.
- sie ist viel schwerer. das wird nicht kommuniziert.
- ihre blende – also etwas, was früher mit vier schrauben befestigt war – ist mit einem völlig unklaren, futuristisch-retromäßig anmutenden adapter an der schublade befestigt und lässt sich nur mit großem aufwand (geheimwissenschaft) zerstörungsfrei entfernen. davor wird nicht gewarnt.
- und, siehe oben, die schublade geht nur mit gewalt aus der schiene heraus.
die schwedische firma hat diesen schritt in die komplexität, die der kunde nicht mehr beherrscht und deren basisobjekte er nicht von hand zusammenschraubt, sicher bewusst unternommen. der nächste schritt ist das fertige schrankmodul. dann hat sich das konzept des leichten transports und des “schraubst du noch, oder lebst du schon” überholt, und ikea ist wie alle anderen.