9 sender 1925 | und wer hört zu?

in der dissertation des studenten ernst klöcker an der universität erlangen im jahre 1926 über das funkwesen in deutschland und die wirtschaftliche bedeutung des rundfunks finde ich eine statistik über die zahl der offiziell registrierten, also gebühren-zahlenden rundfunkteilnehmer im jahr 1925.

rundfunkhörerstatistik_nach_klöcker_1926rundfunkteilnehmer, aufgeschlüsselt nach sendeanstalten, 1925. nach: klöcker 1926

ich wollte mir das grafisch ansehen, denn bekanntlich können wir menschen solchen tabellen nicht sofort besonders viel abgewinnen. also ging ich zu google docs, legte eine tabelle 11 mal 10 an und bat meine frau, mir die werte in der tabelle aus dem buch vorzulesen, während ich sie eintippte. stumpfsinnig, aber nach 5 minuten erledigt. man hat dann ein digitales schätzchen, nämlich eine vielseitig auswertbare tabelle. in etwas größerem rahmen mit natürlich anderen daten wäre das ein prima anwendungsfall für data mining, um aus großen datenmengen signifikanzen herauszulesen, die wir mit bloßem auge nicht sehen. jedenfalls…

… ist google docs etwas sperrig zu bedienen. wenn man sich aber erstmal eingelesen hat, kann man aus dieser zahlenmatrix mit wenigen mausklicks verschiedene visualisierungen erzeugen. ich legte für die wikipedia diese hier an:

Rundfunkteilnehmer_1925_nach_Sendern[bei klick wir die grafik größer.]

nach oben sind die registrierten hörer eingetragen, und zwar in verschiedenen farben, die den einzelnen sendern zugeordnet sind. nach rechts verläuft die zeit, von ende 1924 (da war der “unterhaltungsrundfunk”, wie er damals hieß, genau 1 jahr alt) bis september 1925. man sieht, dass berlin viele mehr hörer hatte als alle anderen; die hörerzahl stieg innerhalb des jahres von unter 200.000 auf über 300.000, flachte aber im sommer 1925 ab. die schwächere zunahme der hörerschaft ist auch bei allen anderen sendern zu verzeichnen, bei manchen, etwa frankfurt, hamburg oder königsberg in preussen, gingen die zahlen sogar leicht zurück. der autor des buchs hat seine zahlen vom reichspostministerium und kann nur mutmaßen, ob es an einer, wie er sich ausdrückt, “rundfunkmüdigkeit” liegt oder an schlechter empfangsqualität wegen zu schwacher sendeleistung. in der ersten euphorie meldeten sich viele interessierte an, merkten dann aber, dass der empfang nicht optimal war. münchens sender etwa hatte nur eine reichweite von 25 km, also etwa bis freising oder starnberg, und wurde 1926 durch einen 10 kilowatt-sender ersetzt, der viel weiter reichte und auch von älteren rundfunkgeräten empfangen werden konnte.

wegen der dominanz des berliner senders ist die grafik oben nicht gut zu gebrauchen, um die hörerzahlen der kleineren sender zu beurteilen. mit der tabelle in der rückhand kann man ohne aufwand beliebige parameter darstellen, zum beispiel nur die entwicklung der rundfunkteilnehmerzahl für münchen:

Rundfunkteilnehmer_1925_Münchenin der eingangsgrafik oben sind alle sender zu sehen, und wenn man genau hinsieht, schneiden sich einige kurven, was in der realität heißt: ein sender überholt einen anderen; leipzig überholt münchen, und, schwerer zu sehen, münster überholt stuttgart. wenn man die drei hörerärmsten sender auflistet, sieht man, wie stuttgart und münster sich umschlängeln:

Rundfunkteilnehmer_1925_nach_3_Sendernim summendiagramm können wir die gesamtzahl der rundfunkteilnehmer sehen (also etwa 800.000 im spätsommer 1925). wir sehen hier aber auch, dass berlin (der untere hellblaue bereich) fast so “dick” ist wie alle anderen zusammen. der sender berlin hatte mehr als ein drittel der hörer aller deutschen sender:

Rundfunkteilnehmer_1925_nach_Sendern_total

tragbares radio | eine vision von 1925

1925 war der rundfunk 2 jahre jung, und feuilletonisten machten sich gedanken darüber, was es mit dieser neuen technik auf sich hat, wie sie sich in die mediengeschichte einordnet und wohin sie führen kann. ein solcher visionär war ludwig kapeller, später NSDAP-mitglied, autor für rundfunkzeitschriften in der SBZ (vorläufer der DDR), dann beim springer-verlag berlin. zu kapellers karriere siehe <1>. kapeller breitete in heft 1/1926 des UHU (ullstein verlag) seine vorstellungen von einem rundfunk (und übrigens auch von einem fernsehen) der zukunft aus. der maler nikolai wassilieffbarotinski (sozialdemokrat) lieferte zwei herrliche illustrationen. dies hier ist eine davon, zum thema des tragbaren rundfunkempfängers, untertitel “Die Radiostation in der Tasche”:

Die-Radiostation-in-der-Tasche---UHU-1025---Nikolai-Wassilieff-Barotinski