genfer wellenplan 1975 | usenet

ich habe eine lücke in meiner datenbank mit interviews entdeckt. sie liegt irgendwo bei 1999/2000, als ich von DAT auf bandloses digitales aufnehmen überging. weil ich nach einer sendung suchte, von der ich das jahr nicht mehr wusste, googelte ich nach “zeitzeichen → genfer wellenplan“. und stieß auf eine diskussion im usenet, einer art vorgänger und lange zeit parallelgänger des internet. die → diskussion fand ab 21.11.2000 im usenet-forum (der “newsgroup”) de.alt.hoerfunk statt.

zeitzeichenWellenplan_newsgroup

darauf folgte eine diskussion über das korrekte datum. ich konnte durch dieses “internet-gedächtnis” das datum der sendung lokalisieren und fand bei meinen DAT-cassetten tatsächlich einen mitschnitt. in dem mitschnitt erwähnte ich den namen eines meiner gesprächsparter, herbert götze. und die suche nach ihm in meinem backup-katalog auf gebrannten CD-Rs förderte zwei treffer hervor, beide mit dem kompletten interview. die eine CD-R war nur noch teilweise lesbar – nicht untypisch für eine beklebte CD-R (wusste ich damals noch nicht, dass das nicht gut ist). aber auf der anderen CD ist das interview komplett drauf und wird jetzt in einer DLF-sendung über mittelwelle im dezember wieder verwendet.

nachkriegserziehung | mit haken

sollDasDieZeitungBringenberliner zeitung vom 4. juni 1945

dieser artikel aus der berliner zeitung vom 4. juni 1945 spricht bände über das, was war, und das, was kommen würde. er ist typisch, weil nur einer von zahllosen mit derselben grundhaltung in den tagen, monaten, jahrzehnten, die folgten.

eine leserin hatte der redaktion geschrieben, die KZ-berichte überstiegen all das, was sie sich hätte vorstellen können. alles sei “noch viel schlimmer gewesen, als es sich überhaupt sagen läßt.” zu welchem schluss kommt sie? erste signifikante aussage: sie verlangt von dem blatt, solche schilderungen nicht mehr abzudrucken, denn “man sollte unter alles, was gewesen ist, einen endgültigen strich machen. wir müssen ja alle von vorn anfangen.” wäre diese frau eine der wenigen nicht-mitläuferinnen des hitler-regimes gewesen, hätte sie natürlich nicht so argumentiert. ihr brief argumentiert mit dem trauma: ich bin durch die 180° kehrtwendung (krieg nicht gewonnen, sondern verloren; hitler nicht gott, sondern feige; 1000jähriges reich schon nach 12 jahren völlig kaputt) wie gelähmt, sodass ich nichts mehr davon hören will! typisch für die zeit. und doppelt prekär, weil die befreiungen der insassen von vernichtungslagern erst wenige wochen her waren.

wie reagiert also die zeitung auf den leserbrief? sie wirft der frau diese verdrängung vor und droht ihr mit noch mehr horrorgeschichten:

welche berichte könnten geeigneter sein, dem volk zu zeigen, von wem es sich regieren ließ, als all die berichte der ehemaligen politischen gefangenen?

die jungen nachkriegs-zeitungen in den westlichen besatzungszonen gingen wesentlich zärtlicher mit den faschisten um. die antifaschistische, sozialistische berliner zeitung vertritt die sozialistische leitlinie der umerziehung. der mensch, der für den sozialismus noch nicht reif ist, muss dafür reif gemacht werden. der satz oben sagt genau das: du wirst dir das elend ansehen müssen, ich zeige es dir, bis du geheilt bist.

vor allem aber ist bezeichnend, aus welcher perspektive die redaktion argumentiert: sie tut so, als habe sie damit selbst nichts zu tun gehabt, als spräche sie, einen monat nach kriegsende, aus dem weltall auf die berliner exnazis und mitläufer nieder:

wir sind der meinung, daß der deutschen bevölkerung immer wieder die wahrheit über ein system vor augen gehalten werden muß, das eine seiner stützen in der deutschen passivität fand.

hier sind wir, und dort ist die deutsche bevölkerung. zwei völlig verschiedene dinge.

das ist die haltung der späteren SED und DDR: faschisten (zurecht) verurteilen und dabei so tun, als seien keine unter ihnen selbst; den nationalsozialismus so von sich weisen, als hätten ihn alle anderen unterstützt, nur sie selbst nicht. daraus wurde sehr schnell das argument, auf dem boden der sowjetischen besatzungszone und 1949 gegründeten DDR gäbe es grundsätzlich keine faschisten, keine rassisten, keine antisemiten mehr. die waren auf verwunderliche weise direkt nach der teilung alle in den westen verschwunden. so die diktion.

damit lag die zeitung (und die spätere DDR) auf derselben linie wie die leserbriefautorin: sie verdrängte. sie schob alles auf den westen und meinte, selbst nichts aufarbeiten zu müssen. in diesem kleinen artikel steckt also auch das scheitern der DDR. und das aufkommen der neonazis nach der wiedervereinigung, vor allem im osten, wie wir wissen.

DDR-Rockband Karat | 1984 in meiner sendung

Karat live - Patrick Baumbachkarat 2005, fotografiert von patrick baumbach für die wiki commons

im februar 1984 moderierte ich schon etwa zwei jahre regelmäßig die musiksendung im BR-zündfunk am freitag. damals stellte ich vor allem neuerscheinungen aus dem sagen wir mal progressiven rock vor. dazu gehörten sicher nicht peter maffay und die DDR-band karat. und dann kam die anfrage: karat ist in münchen, wollt ihr die band nicht in den zündfunk einladen? ich sagte ungern zu, weil der deal war, nicht über politik zu reden. und so war das gespräch denn auch etwas verklemmt und eierte um den heißen brei herum. anfangs sprechen wir über den karat-song “über sieben brücken musst du gehen” (ein hit von peter maffay), und wo bei einer aussage wie “wenn du ausdauer hast, wird’s schon irgendwie ins paradies gehen” der klassenkampf bliebe? die antwort war: das ist ein altes polnisches märchen, nichts weiter.

aus dem mitschnitt vom 17. februar 1984 habe ich jetzt die musiken weitgehend eleminiert, weil ich mit dieser webseite nicht in lizenzschwierigkeiten geraten möchte.

 

karat in der BR/zündfunk-sendung vom 17. februar 1984

fallbeil für gänseblümchen

zwar ein bescheuerter titel, noch dazu für ein so ernstes stück DDR-justizgeschichte und menschlichem elend. aber das “gänseblümchen” kommt aus bekannt bescheuerter quelle, nämlich dem “dienst” des nazis gehlen. wäre ich der bundesnachrichtendienst, ich würde mich heute noch schämen, aus dieser organisation hervorgegangen zu sein. auch meine persönliche erfahrung der zusammenarbeit mit dem BND-archiv könnte dazu bände sprechen: man weiß eigentlich nichts über diesen fall, man weiß auch über andere fälle aus der gehlen-ära gar nichts.

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hier das hintergrundgespräch, 2011 in dradioWissen live geführt:

Fallbeil für Gänseblümchen – Hintergrundgespräch zur WDR-Dokumentation

“normal kostet das.”

halle (saale):

hotel, online beworben mit WLAN, vorort beim frühstück die bedienung gefragt:

“kennen Sie den WLAN-code?”

sie, zögernd: “ja.”

ich: “aber Sie wollen ihn mir nicht sagen?”

sie, zögernd: “das kostet normal 1€.” und verschwand. kam zwei minuten später zurück und legte mir ein zettelchen mit dem code hin: “aber nicht weitersagen!”

 

abends um 23 uhr, unten in der lobby:

“könnte ich einen tee haben und aufs zimmer mitnehmen, in einer großen kanne?”

angestellte: “große kanne haben wir nicht.”

“aber beim frühstück gibt’s für die gäste doch große kannen!”

“die müssen Sie uns aber morgen früh wieder runterbringen!”

“okay. schwarzen tee bitte.”

dann reißt sie eine fertigpackung earl grey auf. “wir hätten gern einen normalen schwarzen tee, einen darjeeling z. b.”

sie öffnet missmutig eine darjeeling-tüte und sagt vorwurfsvoll: “normal kostet das.”