45 Years | sülzig

45Years_filmposter45 Years – filmposter

viel gepriesen, dieses ehedrama zweier älterer personen. susanne mayer schreibt in der ZEIT:

“Liebe im freien Fall. In “45 Years” spielt Charlotte Rampling an der Seite von Tom Courtenay Szenen einer Ehe, die ihrer Auflösung entgegenstrudelt.”

hm, dachte ich mir gestern im OmU-kino mit claudia und thomas: → szenen einer ehe sind das nicht. gegen das ingmar bergman-300-minuten-drama kommt der film von andrew haigh in keiner sekunde an. er ist viel zu lieb und zu nett. das thema selbst ist fast trivial: ein mann lebt mehr oder weniger verschlossen mit der erinnerung an seine jugendliebe in seiner ehe. in diesem film bricht diese erinnerung auf und wirft ihre schatten auf diese ehe. das ganze eheleben, so resümiert seine frau, habe sie sich nach der ex-geliebten richten müssen.

da frage ich mich: wenn sie das das ganze halbe leben lang gespürt hat, was regt sie sich jetzt so auf? um die aufregung über im grunde wenig aufregendes im kino rüberzubringen, müssen wir charlotte rampling szene für szene ewig lang angucken. auch die themen alters-sex und alters-tanzstunde lässt der regisseur in diesem nur an drei, vier orten gedrehten film nicht an uns vorübergehen.

ich kann nur sagen: eine woche zuvor haben wir uns ein anderes kammerspiel angesehen, die argentinischen girls, sonnenbadend am dach; die waren, wie man so schön sagt, kurzweiliger: auch sie philosophieren über das leben, die liebe und die welt, und auch ihr film endet in einem tanz:

lasInsoladaslas insoladas kinoplakat. verleih: realFiction

eleanor rigby | haus- und hofpsychologie im film

ER_02_A4jessica chastain und james mcAvoy in ned bensons “eleanor rigby”. foto: proKino filmverleih

ein film, der vielleicht gut für nordamerika ist, aber uns europäern nichts bringt, ist die schmonzette “das verschwinden der eleanor rigby” von ned benson. ursprünglich als trilogie ausgelegt, läuft jetzt nur teil 3 im deutschen kino. teil 1 und 2 (“him” und “her”) zeigten angeblich die unterschiedlichen perspektiven der beiden liebespartner auf die beziehung und ihr scheitern, teil 3, genannt “them”, zeigt nun beide perspektiven zusammen in gut 90 minuten. uns (thomas und mir) fiel keine “him” oder “her”-perspektive besonders auf.

das thema des sehr langsam (ähm, quälend langsam und redundant) erzählten films ist das trauma der eltern durch den tod ihres kinds. die eltern und ihre familien tabuisieren den verlust auf verschiedene weise, und am ende kommt heraus, dass es hilft, wenn man die dinge anspricht und seiner trauer freien lauf lässt, und dass jeder sein eigenes tempo beim trauern hat. geht’s noch trivialer?

wir fragten uns während des films und danach erst recht, kann’s das gewesen sein? ist das die message? uns kamen die zahllosen französischen und auch deutschen autorenfilme der 1960er und 70er jahre in den sinn, wo die menschen schwere psychische dramen durchleben, wo nie gelacht wird, wo (besonders bei den franzosen, ich denke vor allem an éric rohmer und jean eustache) wahnsinnig viel geredet und aneinander vorbei geredet wird. ned benson ist 1977 geboren, hat nur in den USA gelebt und weiß vielleicht nicht, dass sein thema, sein setting, viel viel intensiver immer wieder im europäischen film abgehandelt wurde, sonst könnte er nicht so ungeniert platitüden verbreiten. er garniert sein drehbuch mit einem kleinen versteckspiel, sodass der zuschauer erst in der mitte des films erfährt, was hier eigentlich los ist. wie ostereiersuchen für erwachsene, völlig daneben. nie was von nouvelle vague gehört? für die amerikanischen zuschauer fühlt sich dieser film bestimmt sehr europäisch an, “very deep”.

was man benson, weil’s sein erster langer film ist, nachsehen kann, ist die besessenheit von seiner hauptdarstellerin, jessica chastain. ich verstehe nicht, was in diesem film von der perspektive des mannes, gespielt von james mcEvoy, übrig bleibt, wenn jessica chastan nicht nur praktisch immer im bild, sondern meist in extremer nahaufnahme zu sehen ist. wenn ich mal platt zurückpsychologisieren darf: wer seine hauptdarstellerin so kritiklos verehrt, sollte sich eine andere hauptdarstellerin suchen.

achso, isabelle huppert kommt in dem film vor, schön klischeehaft als in new york gestrandete künstlerin, alkoholabhängig. und in eleanors kinderzimmer hängt ein poster eines französischen films, mit dem schriftzug: jetzt auch auf englisch. passt irgendwie.

benson_rigby_plakatfilmplakat zur schmonzette. proKino filmverleih

lars von trier | nymphomaniac I

Charlotte-Gainsbourg-in-NYMPHOMANIAC---Photo-by_Christian-Geisnaes---Magnolia-Pictures.-jpgcharlotte gainsbourg in nymphomanic von lars von trier. foto: magnolia pictures, christian geisnaes

gestern sah ich mir mit claudia und thomas lars von triers neuen film nymphomaniac an. er besteht aus zwei teilen, wir sahen uns teil 1 an, im englischen original. ich habe keine einzige kritik über den film gelesen und fand ihn im vergleich zu den vorgängern in der trilogie, antichrist und melancholia, sehr bemüht und wenig bewegend. im kern erzählt lars von trier zwei leben parallel, das von joe (gespielt von charlotte gainsbourg und, als jüngere joe, von stacy martin) und das ihres gesprächspartners seligman (stellan skarsgård) in dessen wohnung. dazwischen entwickelt lars von trier in mehreren kapiteln rückblicke in joes männerverschlingende vergangenheit.

die gespräche joes mit seligman sind sehr fein inszeniert, aber im drehbuch lauern so viele pseudoklugheiten, dass ich oft den regisseur meinte aus seligmans rolle heraus sprechen zu hören, etwa, wie er sich (wie lars von trier selbst) gegen antisemitismusvorwürfe verteidigt. die parallelen zwischen dem fischfang (seligmans hobby) und joes männerfang sind zu beginn noch skurril, werden aber später, immer weiter ausgewalzt, zunehmend bemüht. es kam mir vor, als hätte lars von trier spannende dinge gehört oder gelesen und drückt sie uns, den zuschauern nun ins hirn: mit den vorhäuten beschnittener penisse im laufe der menschheitsgeschichte kann man die strecke zum mars und zurück pflastern; die meisten menschen schneiden ihre fingernägel erst mit der rechten hand; bachs choräle bestehen aus polyphon geführten einzelstimmen, und darin versteckten sich zahlen der fibonacci-reihe usw. die fibonacci-zahlen sind in natur- und musikwissenschaftlichen kreisen ungefähr so durchgekaut wie bei filmern der jump cut. darüber sollte man besser schweigen, statt als quereinsteiger, der lars von trier nunmal ist, mit 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13 usw. aufzuschneiden. joe guckt erstaunlich gespannt zu, wenn seligman über die zahlenreihe den pythagoras und den palestrina einführt und schneckengänge und rechtwinklige dreiecke zeigt.

ich habe mich an jemanden erinnert gefühlt, der das auf viel höherem niveau und – was diesem film völlig abgeht – mit einem hauch an selbstironie, aber natürlich völlig ohne sex betreibt: alexander kluge. ich nehme es seligman nicht ab, dass er mit joe redet, denn es spricht lars von trier zu mir. und lars von trier möchte ich in dem film wirklich nicht wahrnehmen.

die parallelen zwischen der klugheit seligmans und der sexchronik joes kommen gegen ende zu einem im prinzip gut durchdachten, kreativen, dann aber schnell absehbar platten höhepunkt, als er ihr einen bachchoral entwickelt (basspedal an der orgel, linke und rechte hand) und sie ihm diesen choral mit dreien ihrer liebhaber spiegelt: der eine ist ein älterer herr und pflegt sie zu waschen, der andere ist ein lauerndes raubtier und wunderschön. die rechte hand auf der orgelklaviatur, den cantus firmus, stellt ihr lover dar, der sie immer befriedigt. das ist so platt, wie es sich hier liest, und es sieht nicht einmal bildlich homogen aus; lars von trier drittelt dafür die leinwand und füllt sie mit ästhetisch nicht vereinbaren bildern.

Sophie-Kennedy-Clark-and-Stacy-Martin-in-NYMPHOMANIAC-VOLUME-I---Photo_Christian-Geisnaes---Magnolia-Picturemännerverschlingwettbewerb in der bahn: sophie kennedy clark und stacy martin. foto: magnolia pictures, christian geisnaes

ich nehme der 24jährigen stacy martin (der film ist ihr debut; oben ist sie rechts im bild) als joe nicht den werdegang zur nymphomanin ab – es wirkt mir zu konstruiert (sie selbstbefriedigt sich sogar mit geodreiecken; nicht komisch). lars von trier bemühte sich bei der regie offenbar, stacy martin mit einem schatten der traurigkeit, der depression zu führen, und vergass dabei sein thema, eigentlich ein triebthema. oder macht die nymphomanin, so es sie überhaupt gibt, gar nicht der trieb aus? joe könnte genauso gut golf spielen, es wäre kein unterschied, es ist belanglos, was sie tut. es ist aber schön, ihrem immer traurigen gesicht zuzusehen. thema verfehlt, herr von trier. wenn joes vater stirbt (das schwarzweiße kapitel, nachdem seligman vom schaurigen tod edgar allen poes erzählt hat, auch wieder so eine aufgesetzte pseudoklugheit), nehme ich weder dem vater seinen todeskampf ab, noch der tochter die trauer. vielleicht wird das im zweiten teil besser, wenn charlotte gainsbourg stacy martin ersetzt.

und: der schluss hat es in sich und wirkt als cliff-hanger zu teil II, sodass wir den im april dann doch angucken.