lars von trier | nymphomaniac I

Charlotte-Gainsbourg-in-NYMPHOMANIAC---Photo-by_Christian-Geisnaes---Magnolia-Pictures.-jpgcharlotte gainsbourg in nymphomanic von lars von trier. foto: magnolia pictures, christian geisnaes

gestern sah ich mir mit claudia und thomas lars von triers neuen film nymphomaniac an. er besteht aus zwei teilen, wir sahen uns teil 1 an, im englischen original. ich habe keine einzige kritik über den film gelesen und fand ihn im vergleich zu den vorgängern in der trilogie, antichrist und melancholia, sehr bemüht und wenig bewegend. im kern erzählt lars von trier zwei leben parallel, das von joe (gespielt von charlotte gainsbourg und, als jüngere joe, von stacy martin) und das ihres gesprächspartners seligman (stellan skarsgård) in dessen wohnung. dazwischen entwickelt lars von trier in mehreren kapiteln rückblicke in joes männerverschlingende vergangenheit.

die gespräche joes mit seligman sind sehr fein inszeniert, aber im drehbuch lauern so viele pseudoklugheiten, dass ich oft den regisseur meinte aus seligmans rolle heraus sprechen zu hören, etwa, wie er sich (wie lars von trier selbst) gegen antisemitismusvorwürfe verteidigt. die parallelen zwischen dem fischfang (seligmans hobby) und joes männerfang sind zu beginn noch skurril, werden aber später, immer weiter ausgewalzt, zunehmend bemüht. es kam mir vor, als hätte lars von trier spannende dinge gehört oder gelesen und drückt sie uns, den zuschauern nun ins hirn: mit den vorhäuten beschnittener penisse im laufe der menschheitsgeschichte kann man die strecke zum mars und zurück pflastern; die meisten menschen schneiden ihre fingernägel erst mit der rechten hand; bachs choräle bestehen aus polyphon geführten einzelstimmen, und darin versteckten sich zahlen der fibonacci-reihe usw. die fibonacci-zahlen sind in natur- und musikwissenschaftlichen kreisen ungefähr so durchgekaut wie bei filmern der jump cut. darüber sollte man besser schweigen, statt als quereinsteiger, der lars von trier nunmal ist, mit 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13 usw. aufzuschneiden. joe guckt erstaunlich gespannt zu, wenn seligman über die zahlenreihe den pythagoras und den palestrina einführt und schneckengänge und rechtwinklige dreiecke zeigt.

ich habe mich an jemanden erinnert gefühlt, der das auf viel höherem niveau und – was diesem film völlig abgeht – mit einem hauch an selbstironie, aber natürlich völlig ohne sex betreibt: alexander kluge. ich nehme es seligman nicht ab, dass er mit joe redet, denn es spricht lars von trier zu mir. und lars von trier möchte ich in dem film wirklich nicht wahrnehmen.

die parallelen zwischen der klugheit seligmans und der sexchronik joes kommen gegen ende zu einem im prinzip gut durchdachten, kreativen, dann aber schnell absehbar platten höhepunkt, als er ihr einen bachchoral entwickelt (basspedal an der orgel, linke und rechte hand) und sie ihm diesen choral mit dreien ihrer liebhaber spiegelt: der eine ist ein älterer herr und pflegt sie zu waschen, der andere ist ein lauerndes raubtier und wunderschön. die rechte hand auf der orgelklaviatur, den cantus firmus, stellt ihr lover dar, der sie immer befriedigt. das ist so platt, wie es sich hier liest, und es sieht nicht einmal bildlich homogen aus; lars von trier drittelt dafür die leinwand und füllt sie mit ästhetisch nicht vereinbaren bildern.

Sophie-Kennedy-Clark-and-Stacy-Martin-in-NYMPHOMANIAC-VOLUME-I---Photo_Christian-Geisnaes---Magnolia-Picturemännerverschlingwettbewerb in der bahn: sophie kennedy clark und stacy martin. foto: magnolia pictures, christian geisnaes

ich nehme der 24jährigen stacy martin (der film ist ihr debut; oben ist sie rechts im bild) als joe nicht den werdegang zur nymphomanin ab – es wirkt mir zu konstruiert (sie selbstbefriedigt sich sogar mit geodreiecken; nicht komisch). lars von trier bemühte sich bei der regie offenbar, stacy martin mit einem schatten der traurigkeit, der depression zu führen, und vergass dabei sein thema, eigentlich ein triebthema. oder macht die nymphomanin, so es sie überhaupt gibt, gar nicht der trieb aus? joe könnte genauso gut golf spielen, es wäre kein unterschied, es ist belanglos, was sie tut. es ist aber schön, ihrem immer traurigen gesicht zuzusehen. thema verfehlt, herr von trier. wenn joes vater stirbt (das schwarzweiße kapitel, nachdem seligman vom schaurigen tod edgar allen poes erzählt hat, auch wieder so eine aufgesetzte pseudoklugheit), nehme ich weder dem vater seinen todeskampf ab, noch der tochter die trauer. vielleicht wird das im zweiten teil besser, wenn charlotte gainsbourg stacy martin ersetzt.

und: der schluss hat es in sich und wirkt als cliff-hanger zu teil II, sodass wir den im april dann doch angucken.