schauspieler tot | trotzdem auf leinwand?

das ist eine frage, die ein leser der nazi-filmzeitschrift der stern im herbst 1939 stellte:

leserbriefSTERN_1939_verstorbeneSchauspielerleserbrief im STERN 1939

die redaktion beantwortet das mit augenzwinkern –und sieht dabei nicht, dass es sich um ein medientheoretisches goldstück handelt. muss ich gleich mal wolfgang ernst sagen…

den wikipedia-artikel über diese nur zwei jahre erschienene und bemüht unpolitische zeitschrift habe ich angelegt, nachdem mir ein dutzend hefte sozusagen (via ebay) vor die füße fielen. es waren fürs wikipediaschreiben einige recherchen notwenig, vor allem um verbindungen zwischen dem 1938/39er-stern und dem nachkriegs-stern wasserdicht zu machen.

denn obwohl der gründer des nachkriegs-sterns nie etwas von einem vorkriegs-stern gewusst haben wollte, ist heute klar, dass es durchaus eine verbindung gab, nämlich über den herausgeber des ur-sterns kurt zentner, der im nachkriegs-stern nannens stellvertreter war.

dieser wiki-artikel wurden später mancherorts zitiert und soweit ich weiß auch in einer promotion verwertet. → hier noch bisschen mehr zum STERN von damals.

keiner weiß, wo die rechte an dieser fast in in vergessenheit geratenen zeitschrift heute liegen könnten. wenn es jemand weiß, möge er sich melden. glaube, ich trete niemandem auf die füße, wenn ich das titelfoto des hefts mit dem rührenden leserbrief hier wiedergebe.

derSTERNtitel_nov1939titelbild der ausgabe 45 des STERN, mit maria sazarina. foto: stern-quick

harter nachkriegswinter 1947 | zeitschrift HEUTE

nachkriegszeitschrift-HEUTEerste deutschsprachige illustrierte nach dem 2. weltkrieg; hier die ausgabe vom 15. februar 1947

gerade eben recherchiert und in den artikel über die zeitschrift HEUTE in die wikipedia geschrieben. HEUTE war die erste zeitschrift in deutscher sprache nach dem zweiten weltkrieg und wurde – das ist das spannende daran – von den amerikanischen militärs herausgegeben. mein kürzlich bei ebay gefundenes exemplar stammt vom februar 1947:


Typischer Inhalt von 1947

Die Ausgabe von Heute vom 15. Februar 1947 stand im Zeichen des harten Winters, dem zweiten Winter seit Kriegsende. Auf dem Titelbild ist eine ältere Frau zu sehen, die in einem Raum mit Stockwerkbetten einen Sack stopft. Dazu heißt es: „Mit dem breiten, grauen Elendsstrom schlesischer Flüchtlinge kam die alte Frau nach Berlin – allein, von ihren Kindern getrennt, ohne einen Menschen in der großen, fremden Stadt zu kennen.“

Auf der ersten Seite weisen die Herausgeber (die amerikanische Militärregierung) auf Defizite und Vorurteile hin. Sie kritisieren u. a., dass sich viele Deutsche lautstark für unschuldig am Erstarken des Nationalsozialismus halten, „immer behaupten, die anderen waren’s“ und auf ihre „eindeutige antifaschistische Gesinnung hinweisen.“ Auch fiel der Redaktion auf, dass Deutsche gerade in Zeiten des Elends nach dem verlorenen Krieg ihre Kultur hochhalten und den Jazz „Negermusik“ nennen. Deutsche versuchten, die Alliierten gegeneinander auszuspielen und den Besatzern bewusst falsche Auskünfte zu geben, etwa einem Soldaten, der in München nach dem „Red Cross“ fragt, weil er Hilfe braucht, zum Rotkreuzplatz zu schicken. Auch sei häufig zu hören, dass „Deutschland nie den Krieg verloren hätte, wenn die Alliierten nicht über so große materielle Vorteile verfügt hätten.“

Darunter ist, dazu passend, ein Leserbrief eines Adolf Lorenz Müller aus Bad Aibling abgedruckt. Müller bestreitet zwar nicht die Existenz von Konzentrationslagern, hält aber das Elend der Vertriebenen aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudentenland für mindestens so groß. Chefredakteur Heinz Norden weist das aufs Schärfste zurück: „Der Briefeschreiber vermeint, die KZ-Greuel müßten vor dem jetzigen Flüchtlingselend verblassen. Auch die 7 1/2 Millionen, die in den Vernichtungslagern ihr Leben gelassen haben, sind nicht mehr imstande, ihm das zu bestreiten.“

Auf S. 4 portraitiert das Heft den US-General Lucius D. Clay. Er wurde soeben Militärgouverneur der amerikanischen Zone. S. 5 berichtet unter der Überschrift „Totengräber der Republik“ über den Strafprozess gegen den Hitler-Unterstützer Franz von Papen. Papen war in den Nürnberger Prozessen wegen mangelnden Beweisen freigesprochen worden, wurde aber vor der Nürnberger Spruchkammer ein Jahr später zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt.

Eine Bildstrecke auf der Doppelseite 6 und 7 beschäftigt sich mit der Kälte des Winters und zeigt das Innenleben eines Berliner Mietshauses in der Sorduer Straße 4, wo ein Rentner im Keller erfroren war. S. 8 berichtet mit an Theaterinszenierung erinnernden Fotos über die Vorführung ehemaliger Aufseher des KZ Dachau vor ihren Opfern, also ehemaligen Lagerinsassen. Im Zentrum des Artikels steht der KZ-Aufseher Emil Euler,[5] genannt „der Umleger“, berüchtigt wegen des Einsatzes scharfer Hunde und großer körperlicher Gewalt gegen die Häftlinge. Das amerikanische Gericht verurteilte den hier auch abgebildeten Euler zu 10 Jahren Gefängnis; wenig später stand er vor einem polnischen Gericht, wurde zum Tode verurteilt und 1950 durch den Strang hingerichtet.

Mit S. 9 beginnt eine mehrseitiger Bericht mit vielen Bildern über die Gründung eines jüdischen Staats in Palästina: „[Der] moderne Zionismus […] strebt die Umwandlung Palästinas in einen selbständigen jüdischen Staat an, unter völliger Anerkennung der Rechte der arabischen Bevölkerung.“

Auf S. 12 portraitiert Heute den amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln und druckt einige Kernzitate seine legendären Ansprache von Gettysburg ab. Es folgen zwei Seiten mit Masken aus aller Welt. Auf S. 16 beginnt ein zweiseitiger Bericht über die Nazi-Widerstandsgruppe um die Studentin Sophie Scholl, die Weiße Rose. Auf den letzten Seiten wird das Blatt leichter: Wir sehen Bildstrecken vom Wiener Musikleben, insbesondere den Wiener Sängerknaben, ein Portrait des Modedesigners Heinz Schulze-Varell. Schulze war für die Amerikaner politisch unproblematisch, weil er die Treueerklärung an den „Führer“ verweigert hatte und als Folge dessen zum Militärdienst eingezogen wurde.[6]

Auf den letzten Seiten druckt die Zeitschrift eine Erzählung von Louis Bromfield ab. Dazu finden sich Bildstrecken über die Premiere von Carl Zuckmayers bei den Nazis verbotenes Stück Des Teufels General im Schauspielhaus Zürich und Fotografien von an einer Berliner Hauswand angeschlagenen Kontaktanzeigen: „…zwecks späterer Heirat“. Vor den Anzeigen sammeln sich vor allem Frauen, die Anzeigen selbst stellten meist ältere Männer aus. Das Heft schließt mit einem ganzseitigen Foto des Lincoln-Memorials in Washington DC, Buchtipps (Thomas Mann, Heinrich Mann, Franz Werfel und Lion Feuchtwanger) und einem Bilder-Quiz, u. a.: „Die Buchstaben WB auf orangerotem Grund auf diesem Autokennzeichen bedeuten: a) Bayern, b) US-Zone, c) US-Sektor Berlin, c) Württemberg-Baden“.