schein | wissenschaft

vorbemerkung: ich bin ein verfechter harten wissenschaftsjournalismus. auch als ich in den 1980er und 90er jahre wissenschaft in rock/metal-sendungen unterbrachte, ich habe nie gesagt, quantenphysik ist eben mal erklärt. 1990 fand ich mein wissenschaftsjournalistisches zuhause in → forschung aktuell im deutschlandfunk. damals hatte der WDR auch eine starke wissenschaftssendung, wo ich zum beispiel über radiosity berichten konnte – schweres thema, aber ich hatte luxuriöse 10 minuten zeit dafür. die WDR 5-wissenschaft hieß später leonardo (inzwischen quarks), und in den kreisen seriösen wissenschaftsjournalismus breitete sich der begriff der “leonardisierung” aus, womit eine aufweichung des programms gemeint war. denn leonardo wuchs sich zu einer art sendung für die maus für erwachsene aus, und harte, aktuelle wissenschaftsberichterstattung war diesem „hörerfreundlichen“ – böse zungen sprachen vom anbiedernden – kanal weitgehend fremd. dahinter steckte und steckt jetzt mehr noch die angst, hörer zu verprellen, denen der stoff “zu schwer” oder was auch immer ist.

schwerer stoff ist schwer, und unser handwerk ist es, ihn so zu vermitteln, dass es die hörer interessiert. guten wissenschaftsjournalismus macht genau das aus. und es macht ihn auch aus, nicht zu sagen: das ist ganz leicht, das verstehen wir gleich alle. wissenschaft „lite“.

wir kennen die hörer nicht, ich weiß aber von meiner → computersendung im BR, die 1983 startete, dass wir zahllose hörer hatten, die regelmäßig einschalteten, weil sie es spannend fanden, ohne wirklich viel zu verstehen. es muss so gewesen sein, wie es mir heute geht, wenn ich forschung aktuell höre: vieles ist mir thematisch so fremd, dass ich es wie von einem anderen planeten aus wahrnehme. aber es bleibt spannend. ob und wie sich das wissen aus diesen vielen schwer verständlichen beiträgen zusammenbaut, keine ahnung, aber es ist nicht abschreckend.

damit komme ich zu youtube, und hier fasse ich mich kurz. es wimmelt da von seriöser wissenschaft. das beste beispiel ist die → khan-academy, die von astrophysik über artithmetik bis griechische geschichte sehr viel abdeckt. stets interessanter, tiefgehender stoff, exzellent vermittelt. und nie mit dem anspruch, dem zuschauer etwas leicht zu machen:

die khan academy auf youtube

das nächste beispiel ist der youtube-kanal → Urknall, Weltall und das Leben. dahinter steckt der astronom, mathematiker und sachbuchautor → josef graßner. dass er weiß, wovon er spricht, erkennt man auch an seinem guten händchen, gäste auszusuchen. im aktuellen video ist der gastbeitrag ein mitschnitt des auftritts der max-planck-physikerin → susanne mertens, die eine halbe stunde lang durchaus unterhaltsam und anstrengend über das „wiegen“ von neutrinos referiert.

susanne merten im video von “urknall, weltall und das leben”

abschreckende beispiele sind selten, weil man bei youtube, wenn schon wissenschaft, dann auch von wissenschaft ausgeht. es gibt ja keine redaktion, die einem reinredet, also kann man so komplex und langatmig sein, wie es einem passt.

ein beispiel, wie wissenschaft anbiedernd, reißerisch und in der kürze oft völlig falsch präsentiert wird, ist clixoom, der kanal von christoph krachten, einem ehemaligen WDR-journalisten. ich kenne christoph von früher und kann mich nur wundern. wenn er sein aktuelles video mit → “beamen ist möglich” betitelt, denke ich sofort an die BILD-zeitung. geht es ihm, der er kein wissenschaftler und auch kein wissenschaftsjournalist ist, vielleicht nicht um den inhalt, sondern um die vermarktung?

zur vermarktung, gegen die prinzipiell nichts einzuweden ist, solange sie sich dem inhalt gebührlich unterordnet, passt die impertinente werbung, man möge den kanal clixoom unbedingt abonnieren. christoph krachten war in der geschäftsführung der youtube-vermarktungsfirma mediacraft, wo es vordergründig darum ging, aufstrebenden youtubern tipps zu geben, wie sie sich besser vermarkten. in wirklich ging es natürlich darum, aufstrebende youtuber ausfindig zu machen, sie vertraglich zu binden und mit deren erfolg geld zu machen. clixoom jedenfalls ist die bild-zeitung der youtube-„wissenschaft“, also für die tonne, aber immerhin mit einer halbe million abonnenten:

christoph krachten, täglich in clixoom

nachbemerkung: in der presse (und auch in podcasts, vlogs etc.) ist die titelfindung ein kernthema. “Beamen ist möglich!” (sogar mit ausrufezeichen) ist ein beispiel, wie man’s nicht machen sollte. korrekt, aber eben weniger griffig, hätte es heißen können: “Quanten können überall sein” oder so ähnlich. unten ein beispiel aus der heutigen süddeutschen zeitung, wie eine schlagzeile gut gesetzt wird. es ist ein buch erschienen, welches die these vertritt, dass jesus bei der kreuzigung mit einem lungenflügel überlebte. die BILD-zeitung hätte dazu die schlagzeile “Jesus hat überlebt!” gedichtet, die SZ bleibt bei einem seriösen “Atmen kann man auch mit einem Lungenflügel” und einem ebenso soliden untertitel:

oben fake-schlagzeile, unten reale schlagzeile (süddeutsche zeitung)