altmännerlicher | feuilleton-duktus

es gibt eine bestimmte art der kulturrezension, die intellektuell tut, es vielleicht auch ist, es aber schräg und billig herüberbringt. schwer zu beschreiben.

SZ vom 15. mai 2018

fangen wir anders an: ich las heute in der süddeutschen zeitung die kritik einer alois-zimmermann-aufführung in der kölner ausweichoper. in der mitte blieb ich bei folgendem satz stecken, vielmehr, hier hielt ich kurz inne, weil mir was aufstieß:

“Marie ist ein grotesk aufgeputzes Girlie des 18. Jahrhunders mit kokett wippendem Reifrock und einer Trikolore vor der Scham.”

mein unwohlsein kam nicht von der beschriebenen szene, sondern von der art des ausdrucks. aufgeputzt und girlie, kokett wippender rock und vor allem vor der scham – was ist das für ein altes wortgebälk, scham, kokett und aufgeputzt, girlie von vielleicht 1980. ich las einen satz weiter:

“Sie lässt sich flachlegen, um nach oben zu kommen.”

damit lief das fass über. ich dachte mir, das muss ein alter mann geschrieben haben, der schreiben und denken kann, der aber in mancher hinsicht aus der zeit gefallen ist und hier sogar chauvinistisch wirkt. ich konnte das altmännerliche fast in der zeile riechen und dachte: das kann nie im leben eine frau geschrieben haben. mein blick schwenkte auf die letzte zeile: ja, es war ein mann, der WDR-kollege → michael struck-schloen.

später, beim lunch mit einem freund sprach ich die irritation an. bin ich überempfindlich? vermutlich, so kamen wir überein, hätten wir vor ein paar jahren über den satz hinweggelesen, heutzutage aber fällt er unangenehmst auf. ja, nie im leben könnte eine frau so etwas schreiben. joachim kaiser übrigens auch nicht, chauvinist ganz alter schule, aber viel zu sensibel, solche kamellen fallen zu lassen. und bei kaiser sprechen wir von den 1960er bis 1980er jahren, nicht von 2018.


ps.: hab das stück gesehen. keine trikolore „vor der scham“, sondern als unterhose, also auch am po. nennt man selektive wahrnehmung, der der kritiker da nachlüstert. und kokett von jedem flachlegen lässt sich kein girlie. die hauptdarstellerin spielt eine traurige figur, wie beim lenz halt.