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Die Zeitschrift "Der STERN" im Nationalsozialismus

Entgegen den Aussagen des deutschen Verlegers Henri Nannen, den STERN nach dem 2. Weltkrieg erfunden zu haben, gab es schon zu Zeiten der Hitlerdiktatur ein Boulevard-Magazin gleichen Namens in Deutschland. Das Emblem des STERN trug damals, 1938/39, sieben Zacken. Sechs wären wegen der Assoziation an den diskriminierenden "Judenstern" für ein stramm nationalsozialistisches Unterhaltungsblatt tabu gewesen. Dennoch ist die hier abgebildete Ausgabe vom April 1939 (Haft 16) mit Hitler auf dem Titelblatt eine Ausnahme: "Der Führer im Kreis der Künstler". Alle anderen 25 Zeitschriften, die ich besitze, geben sich weitgehend unpolitisch und zeigen fast ausschließlich Schauspielerinnen und Models auf dem Cover. Auch inhaltlich unterscheidet sich diese Ausgabe von den anderen: Der Leitartikel beglückwünscht ausführlich den "Führer und die Künste" zu seinem 50. Geburtstag.

Dem Artikel folgt ein Bericht "Schicksal einer Volkskomödie" über das Kleine Theater unter den Linden. Die dort aufgeführte Bauernkomödie "Krach um Jolanthe" sei erst nach dem Besuch Hitlers im Lessingtheater, wohin das Ensemble später umzog, ein Publikumsrenner geworden.

Der STERN erschien zwischen 1938 und Ende 1939 wöchentlich, in 1939 mit einer Auflage von über 750.000 Exemplaren. Warum die Zeitschrift eingestellt wurde, entzieht sich meinen Kenntnissen.

Stern 1939 Hitler

Die Rückseite der Ausgabe 28 vom Juli 1939 des STERN zeigt ein Model in für damalige Verhältnisse lasziver Pose. Die Bildunterschrift "Mit ihr unter Palmen - sitzen..." spielt auf das Gesäß der blonden Frau an. Als Fotograf ist "Colmann" angegeben. Zeitschrift STERN 1939

In derselben Ausgabe des STERN startet ein Portrait der Schauspielerin Brigitte Horney: "Biggi's Start ins Leben" von Eberhard Frowein. Frowein schreibt als Brigitte Horney in erster Person und erzählt an einer Stelle das Verhältnis einer reichen Familie zur Straßenbahn, der "Elektrischen". Die Familie besaß genug Geld für Taxis (damals "Autos" genannt) und ein Telefon:

"[meine Tante] telefonierte nach Hause, und meine Mutter sagte, wir sollten sofort ein Auto nehmen und heimkommen. Also diesmal ein Auto. Geizig war meine Mutter nie. Die Elektrische hatte erzieherische Gründe. Sie hat mir sehr gut getan. Ich lege noch heute manchmal in kritischen Augenblicken eine elektrische Bahn ein. 'Sie ist weniger ein Verkehrs- als ein Nervenmittel und als solches muß sie erhalten bleiben', hat meine Mutter vielen Patienten gepredigt. Die Berliner Verkehrs-Gesellschaft möge es ihr verzeihen."

Zeitschrift STERN 1939
Von den 12 Blättern (24 Seiten) jeder Ausgabe bestanden rund zwei aus Werbung, wobei diese hier aus der Ausgabe 28 vom Juli 1939 typisch ist Allein auf dieser Doppelseite finden sich etwa ein Dutzend Anzeigen, die sich mit den Füßen, Beinen, Wimpern und Brüsten der Frauen auseinandersetzten. Zitat: "Sie ahnten es, daß es nur die straffe, elastische Büste ist, die viele Frauen so jugendlich macht. Bei Unentwickelung oder Erschlaffung werden in kurzer Zeit bleibende Erfolge erzielt durch das unschädliche, sehr rasch wirkende Mammoform." Brüste heißen Büste, kleine Brüste heißen Unentwickelung, hängende Brüste Erschlaffung. Sämtliche auf dieser Seite angepriesenen Arzneimittel sind Hormonpräparate. Mammoform wurde von der Chemischen Fabrik Weltenberg & Co. in Berlin SW29/ M85 hergestellt. Zeitschrift STERN 1939
Jede Ausgabe des STERN enthielt eine komplette Seite mit Witzen, wobei die meisten frauenfeindlich waren, die wenigsten aber, wie diese hier, einen direkten Bezug zur Sicherheitslage aufwiesen - hier zu Luftschutzübungen, bei denen die Bevölkerung mit Sirenenheulen aufgefordert wurde, sich in die Keller zu begeben. Hitler ließ knapp zwei Monate nach Erscheinen dieser Ausgabe Polen überfallen und begann damit den 2. Weltkrieg. In diesem Witz sagt ein beschürztes, attraktives Hausmädchen zum Pfeife rauchenden, untersetzten Chef: "Was mache ich bloß, Herr Professor? Soll ichs Ihrer Tochter, die mit ihrem Verlobten im Keller sitzt, sagen, daß die Luftschutzübung seit zwei Tagen beendigt ist?" Der Witz bestand darin, dass das Pärchen im Keller sich dem Befehl der Luftschutzübung unterwarf, diesen aber gegen die gängige Moral zu sexuellen Eskapaden nutzte. Zeitschrift STERN 1939
Die Rolle der Frau im STERN der späten 1930er Jahre ist entweder die des Filmstars oder des Sexobjekts. Die hier abgebildete Frau mit Hose ist eine solche Besonderheit, dass die Redaktion diese Bildunterschrift wählte: "Wie kommt das Mädchen zu der Hose? Oder, wie kommt die Hose zu dem Mädchen? Die Lösung: sie heißt Wochenende, Sonnenfreude; hier bin ich 'Mann', hier darf ich's sein." (STERN Nr. 20. Mai 1939; Foto - möglicherweise - Gremmler) STERN 1939

Die Leserbriefe nehmen im STERN eine ganze Seite (incl. Werbung) ein. Die Rubrik heißt "postlagernd" und ist mit einem Zeitstempel versehen, hier: 16. Mai 1939. Die Namen der Leser werden anonymisiert."G.K., Frankfurt a. M." schreibt:

"Ich möchte gerne wissen, was ein sogenanntes 'Trautonium' ist. Kann der 'Stern' mir darüber etwas mitteilen?"

"Das nach seinem Erfinder, dem Ingenieur Friedrich Trautwein benannte 'Trautonium' ist ein leicht spielbares, rein elektrisches Musikgerät, das alle bekannten Instrumente und auch Bühnengeräusche wie Sturm, Propellersurren usw. nachahmt. Ein kleines Kästchen, ähnlich wie ein Rundfunkempfänger, enthält die zur Erzeugung der hörbaren Schwingungen nötigen Einrichtungen. Durch Drehen der Knöpfe (Drehkondensatoren) wird die Klangfarbe eingestellt. Das Manual zeigt sich als Holzstab, über den ein Draht gespannt ist. Je nachdem man ihn an der einen doer anderen Stelle niederdrückt, entstehen die verschiedenen Töne." (STERN Nr. 20, Mai 1939)

Das Trautonium gilt als Vorläufer der Synthesizer oder als erster Synthesizer überhaupt und war damals eine erst knapp 10 Jahre junge Erfindung, die sich auch die Filmindustrie für das Sound-Design zunutze machte.

STERN 1939

In derselben Ausgabe findet sich in der Rubrik "Sternschnuppen" Skurriles aus der Welt der Kunst, u.a. ein kurzer ironischer Artikel über die Unnatürlichkeit von Tonaufnahmen und von Farbfilm:

"Natur - unnatürlich. Je meisterhafter die Filmtechnik wird, desto stümperhafter stellt sich das Schöpfungswerk dar. Der Farbfilm hat neue Beweise erbracht, wie renovierungsbedürftig die Natur ist. Schon der Tonfilm hatte nachgewiesen, daß zum Beispiel das natürliche Meeresrauschen im Mikrophon klang, als hätte eine alte Henne asthmatische Beschwerden. Ein knatterndes Stullenpapier gab mikrophonmäßig mehr her als die ganze Küstenbrandung des Stillen Ozeans. Gleiche Erfahrungen mußten jetzt Kameraleute machen, die einen Farbfilm drehten. Die Natur konnte die Filmeignungsprüfung nicht bestehen. Es wurden nämlich die Wasserszenen gdreht, - und sie erwiesen sich als ein glatter Schlag ins Wasser. Kein Mensch im Publikum hätte geglaubt, daß die Natur so unnatürliche Farben aufweist. In dieser Stunde, in der dem Regisseur das Wasser bereits im Halse stand, machte ein Dekorateur eine trockene Bemerkung, die man alsbald zur Tat werden ließ: 750 Kilogramm besten Marineblaus wurden in die Fluten geschüttet! Die Filmtechnik hatte wieder einmal in das Kunterbunt der Naturfarben die wirksame Kolorierung, das 'make-up' der Schöpfung gebracht."

STERN 1939
STERN 1939

oben: Auf dieser Doppelseite macht sich der STERN Nr. 30 vom Juli 1939 Gedanken über die Filmtechnik und zieht 'lustige' Parallelen, wenn man die Fachtermini ins nicht-filmische Leben überträgt. Oben rechts ist z.B. groß ein Mikrofon am Galgen zu sehen, klein darunter zwei Schlingen an einem Baum. Zum massiven Elektrizitätsverbrauch beim Filmen (zweite Abbildung unten) ist eine Getränke austeilende Kantinenmitarbeiterin abgebildet - dazu der Text:

"Zweierlei Saft... Der elektrische Strom ist der wichtigste Lebens-'Saft', den Filmleute brauchen. Allerdings ist er weitaus teurer, als der Saft, den man in der Kantine bekommt."

Die Fotos stammen von "Ufa/Klitsch".

 

 

Die Leserbriefsektion vom 27. Juni 1939 enthält die Anfrage eines Lesers aus Köln-Mühlheim über das Rauchen in Kinos. Das Rauchen war z.B. in englischen Kinos noch in den 1970er Jahren erlaubt.

"Ich habe im 'Stern' gelesen, daß man in den ausländischen Kinotheatern rauchen darf. Gibt es auch in Deutschland Lichtspielhäuser, in denen das Rauchen erlaubt ist, und wenn nicht, warum nicht?

In Deutschland ist in den Lichtspieltheatern das Rauchen grundsätzlich aus feuerpolizeilichen Gründen nicht erlaubt. Und das mit Recht, denn erstens haben Kinobrände wegen des leicht entzündlichen Materials verheerende Auswirkungen, zweitens aber würde die Luft in den Theatern durch Zigarren- und Zigarettenwolken unerträglich verschlechtert. Andere Länder haben eben in jeder Beziehung andere Sitten - und andere gesetzliche Bestimmungen."

STERN 1939

Die Leserbriefseite "postlagernd" gibt großen Aufschluss über die Interessen der Leserschaft und noch größeren über die Gesinnung der Redaktion. In der Ausgabe 29 von Mitte Juli 1939 druckt der STERN u.a. diese Leserfrage zu einer Heirat mit "Ausländern" ab - und gibt eine NS-konforme Antwort:

"L.D., Braunschweig: Ich wäre dem 'Stern' sehr dankbar, wenn ich einmal erfahren könntne, ob es möglich ist, daß eine Deutsche einen Italiener heiratet. Kürzlich hörte ich nämlich, daß in Italien die Heirat mit Ausländern untersagt sei. In diesem Fall gelten wir Deutsche ja doch auch als Ausländer."

Antwort:

"Italien hat ähnliche Rasseschutzgesetze wie Deutschland. Eine Heirat zwischen Italienern und Deutschen ist dadurch aber keinesfalls unmgölich gemacht, da die beiderseitige Gesetzgebung vor allem das Ziel verfolgt, eine Vermischung des arischen Blutes mit dem jüdischen zu verhindern. Es ist also nach Erfüllung bestimmter Formalitäten möglich, daß Angehörige der beiden Staaten einander heiraten, falls es sich nicht bei einem der beiden Partner um einen Nichtarier im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen handelt."

Der anschließend abgedruckte Leserbrief fragt nach Möglichkeiten des Studiums des Trickfilms. Rechts im Bild eine großflächige Anzeige von Sagrotan. Anhand einer Bildergeschichte wird erzählt, wie eine Frau von ihrem Mann gemieden wird, bis eine Freundin der Frau erklärt, dass sie gegen ihren "peinlichen Körpergeruch" das Desinfektionsmittel Sagrotan nehmen solle. Danach ist die Harmonie in der Ehe wieder hergestellt.

STERN 1939

Das Titelbild von Heft Nr. 30 ist insofern ungewöhnlich, als nicht eine Schauspielerin seitenfüllend und attraktiv abgebildet ist, sondern drei Mitglieder der 'Akkordeon-Babies' aus Wien als Collage. Die hintere Umschlagseite des STERN zeigt in der Regel ein weibliches Model in sexy Pose, in dieser Ausgabe jedoch die restlichen vier Mitglieder der Schlagertruppe.

Die Leserbriefsektion von Heft 30 beantwortet sechs Fragen, die in ihrer Mischung typisch für die damaligen Ausgaben des STERN sind. Eine Leserin möchte wissen, ob es in Berlin eine Kosmetikschule gibt, ein Leser fragt nach der Echtheit seiner Geige. Ein "W.G, Berlin-Karlshorst" möchte wissen, warum es keine berühmten Frauen als Komponistinnen gibt. Die Redaktion antwortet ausführlich und schließt mit den Worten:

"Frauen sind ihrer ganzen Mentalität nach - wie sich bei unseren großen Schauspielerinnen, Pianistinnen und Sängerinnen zeigt - nachschöpferisch bedeutender."

... wobei 'nachschöpferisch' bedeutet, dass Frauen selbst nicht schöpferisch tätig sein können, sondern nur als Interpretatorinnen tauglich sind. Ein weiterer Leserbrief kritisiert den STERN, dass er eine Story über einen Sportschauspieler, wenn auch leicht variiert, schon vorher woanders gelesen habe. Die Redaktion entschuldigt sich; man sei von "einem Mitarbeiter tatsächlich irre geführt worden". Ein Arzt aus Erfurt moniert, dass bei dem Spielfilm "Salonwagen E417", welcher im Jahr 1889 spielt, moderne Eisenbahntechnik zu sehen sei:

Man "sah moderne Reichsbahnlokomotiven mit den breiten Puffern, Heißdampf-Zylindern und den neuen vorn angebrachten Nummerntafeln. Ein [..] D-Zugwagen trug die Aufschrift 'Elektrische Heizung', wie sie heute die Wagen tragen, die auf elektrisch betriebenen Strecken verkrhen. So etwas gehört doch nicht zwischen Bilder von 1889!"

STERN 1939

Ein Leser der oben genannten Ausgabe spricht die Frage an, ob es auch Filme gäbe, die keine Liebesfilme seien. Die Redaktion antwortet:

"Wir haben tiefgründig nachgedacht und sind zu der Überzeugung gekommen, daß es tatsächlich außer der 'Himmelsmacht Liebe' noch einige andere Themen gibt, die filmisch gestaltet werden können. Z.B. werden in dem neuen Ritter-Film 'Kadetten' die Schicksale junger preußischer Soldatensöhne behandelt, in 'Alarm im Mitttelmeer' und anderen Bildstreifen geht es um Kameradschaft und Heldentum. Außerdem haben historische Themen wie 'Das unsterbliche Herz' auch nicht unmittelbar etwas mit Liebe zu tun. Trotzdem aber: es wird, solange es Menschen gibt, auch die Liebe geben, und - ehrlich gestanden - wir möchten sie auch in unseren Filmen nicht gerne missen!"

STERN 1939
STERN 1939

oben: Typisch für die Umschlagseiten des STERN 1939 sind dünn bekleidete Frauen. Für die Rückseite (links) wird die 'Quick' als Fotoquelle genannt; die "unter dem Sternenpanier" ihres Bikinioberteils liegende Frau ist die Tänzerin Ljena Gsovsky. 'Quick' ist eine häufig genannte Bildquelle. Möglicherweise existierte damals eine Schwesterzeitschrift des STERN im gleichen Verlagshaus. Bislang war man davon ausgegangen, dass die Zeitschrift Quick ebenso wie der Stern erst nach dem 2. Weltkrieg entstanden.

Die springende Frau auf dem Titelblatt rechts ("Eine ebenso beglückende wie gelungene fotografische Meisterleistung") ist vermutlich Lisa Fonssagrives, ein schwedisches Model, damals bereits ein Superstar, das erste Supermodel überhaupt. Die Bildunterschrift nennt keinen Fotografen, sondern lautet nur: "Aufnahme: Fonssagrives." STERN, Ausgabe Nr. 29 vom Juli 1939.

 

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