arme | fußgänger

gestern postete jemand in ein fahrradforum auf facebook dieses vide0:

zeitrafferaufnahme einer straßenkreuzung in utrecht. video: → bicycleDutch

szenen wie diese zeigen mehrere dinge. einige können für die stadtplanung, andere fürs verkehrsamt wichtig sein. ich weiß nicht, ob man darüber nachdenkt. auf der positiven seite sehen wir menschen als fußgänger, auf fahrrädern, in autos, trams und bussen in einem quirligen durcheinander. die soziologie würde mit ein bisschen statistik zeigen, wie ein komplexes system ohne viel regelwerk (ampeln) erstaunlich gut funktioniert. die mathematik würde mit mehreren solcher videos vielleicht sogar schließen, wie das system verkehrsmix hochskalierbar ist, und berechnen, ab welcher verkehrsdichte es kollabiert – unfallserien, oder einfach nur stillstand.

auf der negativen seite sieht man etwas, was ich auch aus berlin und münster kenne: die hackordnung sieht so aus. radfahrer dominiert fußgänger. die fußgänger müssen laufend korrekturbewegungen vollziehen, um radfahrern auszuweichen. in der luftfahrt gibt es, wie in jedem sozialstaat, die grundregel, dass den meisten schutz der schwächste braucht. eine cessna muss einen paraglider ausweichen, der paraglider dem ballonfahrer, die boeing, selbst beim landeanflug, der piper zweipropellermaschine. auf den verkehr bezogen ist der rollstuhlfahrer das schwächste und schützenswerteste glied. dann kommen die kinder und die eltern mit kinderwägen. dann kommt lange nichts, und dann erst der radfahrer.

in toronto ging man (zumindest sah ich das vor zwei jahren) einen ganz unguten weg. man zog aus dem fahrraddurcheinander die konsequenz, einige stark befahrene straßen so umzugestalten, dass die radfahrer eine eigene schnell-trasse, parallel zu den autos bekamen. das ist das gegenteil von einer innerstädtischen verlangsamung und des konzepts des→ shared space. es macht den bewohnern des viertels das leben zur qual. ein guter parameter, diese qual zu messen, ist die beobachtung, was passiert, wenn ein fußgänger aus dem haus tritt und zwei meter nach vorn geht. da kann er schon tot sein.

sharing schwergemacht | SZ vom samstag

car--und-bike-sharing-schwer-gemacht---SZsharing-dienste müssen dazulernen. süddeutsche zeitung 6. september 2014

online nachzulesen → hier. der artikel ist eine folge mehrerer einzelrecherchen, von denen ich einige hier schon gepostet hatte. nämlich a | b | c| d. außerdem gibt es einige sendungen von mir zum thema sharing, shared space und verkehrstaktung, unter anderem “verkehr im takt”, SWR 2 2013, → hier nachzuhören.

mir fallen die augen zu | beim fahren

OLYMPUS DIGITAL CAMERAstraßenverkehrsschild in utah rät müden autofahrern, rechts rauszufahren. foto: phil konstantin, wiki commons, 2007

fallen mir beim autofahren die augen zu, fallen sie eben zu, und der wagen fährt dann, ja: wohin? dass der müde autofahrer für signifikant viele (20%) und besonders schwere unfälle bei langstreckenfahrten verantwortlich ist, ist lange bekannt. mit den müdigkeitsdetektoren in neuen mittel- und oberklassefahrzeugen bekommt das thema aber einen unangenehmen beigeschmack: “ich will nicht, dass mir jemand, und wenn es nur ein computer ist, dabei zusieht, wohin ich gucke oder wie ich lenke!”

stimmt, das irritiert, und in zeiten, wo autos sich mit dem internet verbinden und man eh nicht genau weiß, wo welche persönlichen daten hinwandern, irritiert es erst recht.

sozialpsychologisch gesehen geht dieses gefühl vom autofahrer aus und bleibt bei ihm (“ich werde müde, mir fallen die augen zu, ich bin am steuer.”) er sieht das lenkrad und das monitoring-display, aber nicht den verkehr “draußen”.

schon seit rund 100 jahren aber ist das betreiben eines autos nicht mehr eine private kurvenreiche superunterhaltung, sondern das kollektive bewältigen eines komplexen mobilitätssystems in echtzeit. ich finde, das funktioniert, wenn man sich die verkehrsdichte in deutschland ansieht, prima. man nimmt rücksicht, man fährt nicht gleich aus der haut, wenn ein anderer plötzlich die spur wechselt. da ist es sehr hilfreich, wenn ein einschlafender fahrer von seinem bordcomputer geweckt wird, bevor er vier entgegenkommende fahrer irritiert, verletzt, tötet. das klingt moralisch, ist es aber nicht.

in der wikipedia gibt es einen kurzen artikel dazu, der sich aufmerksamkeits-assistent nennt. im englischen artikel (“driver drowsiness detection”) ist sehr schön zu lesen, wie die verschiedenen hersteller diese technik “branden”:

  • ford: driver alert
  • daimler: attention assist
  • volkswagen: fatigue detection system
  • volvo: driver alert control
  • toyota: driver monitoring system

weitere bezeichnungen:

  • anti sleep pilot
  • vigo

 müdigkeitErkanntmüdigkeits-benachrichtung. illustration: volkswagen AG

die bundesanstalt für straßenwesen BAST hat 2013 das müdigkeitsverhalten am steuer → untersucht. demnach gibt es rund 70 müdigkeitsmessverfahren, die nicht nur unterschiedlich messen, sondern auch unterschiedlich warnen. es gehören

“die Erfassung der Fahrperformanz durch Beobachtung von Lenkverhalten, Spurhaltung und Lidschlussverhalten, sowie das videobasierte Expertenrating und das EEG zu den validesten Müdigkeitsmessverfahren.”

problematisch ist der “pupillografische Schläfrigkeitstest” wegen zu unsicheren ergebnissen; offenbar machen unsere augenlider auch in nicht schläfrigem zustand seltsame und in schläfrigem zustand normale bewegungen. es wird in der studie den herstellern solcher warnsysteme deshalb dazu geraten, mindestens zwei messverfahren parallel laufen zu lassen, also zum beispiel lenkverhalten und lidschlagfrequenz. aus polizeilicher sicht es gibt noch keine analysetools, um unmittelbar nach einem unfall zu testen, ob der fahrer am steuer eingeschlafen war. viele geben als grund für ihre unaufmerksamkeit an, sie seien “mit den gedanken woanders” gewesen. die meisten fahrer mit müdigkeitsdetektoren ignorieren die warnungen und fahren weiter. vermutlich ist die dunkelziffer für durch müdigkeit am steuer ausgelöste unfälle hoch.