mir fallen die augen zu | beim fahren

OLYMPUS DIGITAL CAMERAstraßenverkehrsschild in utah rät müden autofahrern, rechts rauszufahren. foto: phil konstantin, wiki commons, 2007

fallen mir beim autofahren die augen zu, fallen sie eben zu, und der wagen fährt dann, ja: wohin? dass der müde autofahrer für signifikant viele (20%) und besonders schwere unfälle bei langstreckenfahrten verantwortlich ist, ist lange bekannt. mit den müdigkeitsdetektoren in neuen mittel- und oberklassefahrzeugen bekommt das thema aber einen unangenehmen beigeschmack: “ich will nicht, dass mir jemand, und wenn es nur ein computer ist, dabei zusieht, wohin ich gucke oder wie ich lenke!”

stimmt, das irritiert, und in zeiten, wo autos sich mit dem internet verbinden und man eh nicht genau weiß, wo welche persönlichen daten hinwandern, irritiert es erst recht.

sozialpsychologisch gesehen geht dieses gefühl vom autofahrer aus und bleibt bei ihm (“ich werde müde, mir fallen die augen zu, ich bin am steuer.”) er sieht das lenkrad und das monitoring-display, aber nicht den verkehr “draußen”.

schon seit rund 100 jahren aber ist das betreiben eines autos nicht mehr eine private kurvenreiche superunterhaltung, sondern das kollektive bewältigen eines komplexen mobilitätssystems in echtzeit. ich finde, das funktioniert, wenn man sich die verkehrsdichte in deutschland ansieht, prima. man nimmt rücksicht, man fährt nicht gleich aus der haut, wenn ein anderer plötzlich die spur wechselt. da ist es sehr hilfreich, wenn ein einschlafender fahrer von seinem bordcomputer geweckt wird, bevor er vier entgegenkommende fahrer irritiert, verletzt, tötet. das klingt moralisch, ist es aber nicht.

in der wikipedia gibt es einen kurzen artikel dazu, der sich aufmerksamkeits-assistent nennt. im englischen artikel (“driver drowsiness detection”) ist sehr schön zu lesen, wie die verschiedenen hersteller diese technik “branden”:

  • ford: driver alert
  • daimler: attention assist
  • volkswagen: fatigue detection system
  • volvo: driver alert control
  • toyota: driver monitoring system

weitere bezeichnungen:

  • anti sleep pilot
  • vigo

 müdigkeitErkanntmüdigkeits-benachrichtung. illustration: volkswagen AG

die bundesanstalt für straßenwesen BAST hat 2013 das müdigkeitsverhalten am steuer → untersucht. demnach gibt es rund 70 müdigkeitsmessverfahren, die nicht nur unterschiedlich messen, sondern auch unterschiedlich warnen. es gehören

“die Erfassung der Fahrperformanz durch Beobachtung von Lenkverhalten, Spurhaltung und Lidschlussverhalten, sowie das videobasierte Expertenrating und das EEG zu den validesten Müdigkeitsmessverfahren.”

problematisch ist der “pupillografische Schläfrigkeitstest” wegen zu unsicheren ergebnissen; offenbar machen unsere augenlider auch in nicht schläfrigem zustand seltsame und in schläfrigem zustand normale bewegungen. es wird in der studie den herstellern solcher warnsysteme deshalb dazu geraten, mindestens zwei messverfahren parallel laufen zu lassen, also zum beispiel lenkverhalten und lidschlagfrequenz. aus polizeilicher sicht es gibt noch keine analysetools, um unmittelbar nach einem unfall zu testen, ob der fahrer am steuer eingeschlafen war. viele geben als grund für ihre unaufmerksamkeit an, sie seien “mit den gedanken woanders” gewesen. die meisten fahrer mit müdigkeitsdetektoren ignorieren die warnungen und fahren weiter. vermutlich ist die dunkelziffer für durch müdigkeit am steuer ausgelöste unfälle hoch.

SMS schreiben im auto (werner herzog, ein film)

textingWhileDriving_WernerHerzog

(c) werner herzog 2013

das ist ein bild aus dem neuen film von werner herzog, deutscher filmemacher in den USA: from one second to the next – texting while driving. der halbstünder ist eine dokumentation, die praktisch nur aus interviews besteht. der film dreht sich um vier unfälle mit schwerverletzten und toten, die nur deswegen passierten, weil der fahrer SMS-nachrichten las und tippte. AT&T hat den film gesponsert; vermutlich geht er deswegen besänftigend aus: im vierten dargestellten fall versöhnt sich der fahrer mit der tochter des manns, den er beim “texten” getötet hat.

im oben abgebildeten fall gibt es keine versöhnung. die fahrerin des unglücksfahrzeugs, eine junge frau, wollte nicht vor die kamera. sie schrieb eine SMS, als sie durch das dorf in vermont fuhr, einen briefkasten erwischte, an dem die frau im bild links gerade die post abholen wollte. sie hatte ihren hund dabei. beide wurden von dem wagen erfasst, durch die luft gewirbelt, dutzende meter am straßenrand entlanggeschleift. der hund war tot, die frau fiel ins koma und ist heute schwerstbehindert, mit etwa 1 million dollar krankenhaus- und therapiekosten, von denen die täterin 60.000 dollar zahlte. alle täter in dem film kommen mit kleinen strafen davon.

das problem mit dem film ist, dass er, wenn man den ersten (und am intimsten dargestellten, hervorragend gefilmten) fall gesehen hat, weiß, wie’s weitergeht. was er aber leistet, ist das gesamte spektrum an leid zu transportieren, das eine kleine nachricht wie “I love you.” auslösen kann. angeblich gibt es 100.000 unfälle in den USA pro jahr durch texting and driving, tendenz steigend.

“I love you.” war die letzte nachricht in einer ganzen reihe von SMSn, die ein junger mann beim autofahren an seine frau schickte (und ihre antworten las). dabei überholte er einen pferdewagen mit drei passagieren, alle amischer religion, touchierte den wagen, tötete alle drei, zwei davon kleine kinder. diesen mann mit seiner schuld portraitiert werner herzog als zweiten fall. hervorragend sind dabei die einstellungen mit dem polizisten, der den fall aufnahm (bild unten).

textingWhileDriving2_WernerHerzog(c) werner herzog 2013

der film ist in kompletter länge auf youtube zu sehen: from one second to the next (werner herzog) 2013

das thema ist im grunde schon veraltet, denn das größere problem sind smartphones im auto, die nicht mehr so einfach nebenher bedient werden können, wie alte tastenhandys. zudem sind ihre orientierungssensoren inkompatibel mit den lateralbewegungen des autos bei der fahrt. man bringt beim smartphone-surfen im auto zwei achsen zusammen, die nicht zusammenpassen. die unfälle, nur weil jemand auf dem smartphone eine taste drücken oder den bildschirminhalt drehen will,  dürften weit drastischer sein als die beim reinen SMS-texten.