Radio-Web 1928 | wie recheriert man sowas?

Die_Sendung_Nov1928_Titelblatt“Die Sendung / Rundfunkwoche” vom november 1928

in dieser letzte woche ersteigerte ich für 1 € diese rundfunkzeitschrift von 1928. sie wurde vom verlag hermann reckendorf, berlin, herausgegeben und war eine der ersten deutschen rundfunkzeitschriften überhaupt, vielleicht sogar die erste. hermann reckendorf geriet nicht nur als jude, sondern auch als verlagschef für progressive zeitschriften mit den nazis in konflikt. sie enteigneten ihn bereits 1933; im selben jahr, wahrscheinlicher aber 1936 nahm sich reckendorf das leben.

in dieser ausgabe, die eher zufällig zu mir (und dadurch jetzt in die wiki commons und dadurch in die wikipedia) kam, gibt es eine werbeanzeige der firma RADIO-WEB. erstaunlicher name! die firma bot alles ums neue medium radio herum an, von katalogen über lehrbücher bis zum kostenlosen aufladen des radio-akkus – denn das ans stromnetz angeschlossene rundfunkgerät kam erst in den 1930er jahren auf. hier die werbung:

Radio-Web_1928“Radio-Web” 65 jahre vor dem world wide web

was hatte es damit auf sich? in der anzeige ist die postadresse zu lesen: WEB-Haus, Berlin S42 [also Kreuzberg], Prinzessinnenstr. 16. bei der bildersuche nach dieser adresse findet man nur neue, nach dem krieg gebaute häuser, nichts deutet auf ein web-haus hin. die web-suche nach “radio-web” bringt auch nichts: vor allem kaufangebote für internetradios und tausendfach “web 2.0”. eine suche angesichts eines so prominenten worts (web) ist ähnlich kompliziert wie die nach einem stefan schmidt oder peter brook.

in solchen fällen lohnt sich die suche in den digitalen bibliotheken, zu allererst also bei google books. dort findet man unter der postadresse zwar kein “web-haus”, aber immerhin kein world wide web, sondern den ein oder anderen handwerklichen betrieb, zum beispiel einen, der pharmazeutische geräte herstellte. gibt man in google books wörtlich ein: “berlin radio-web”, so kommt zuerst ein fachbuch über alfred döblins (auch ein jude, der 1933 mit den nazis schwierigkeiten bekam und auswanderte) roman “berlin alexanderplatz“. die autorin, anke detken (heute → literaturprofessorin in göttingen) merkt an, dass einige namen von berliner lokalitäten in der französischen übersetzung des buchs weggelassen wurden, unter anderem die erwähnung des “web-hauses”:

berlin-alexanderplatz-radio-web-hausanke detken: döblins berlin alexander platz übersetzt. palaestra, band 299

in der online lesbaren “fischer klassik plus”-ausgabe von döblins roman findet sich genau diese stelle:

“Gegenüber am Häuschen von Radio Web – bis auf weiteres laden wir einen Akku gratis – steht ein blasses Fräulein …”

in anderen büchern über döblins alexanderplatz werden die derlei lokalitäten näher untersucht; dabei kommt heraus, dass radio-web eine gmbh war. an anderer stelle lese ich, dass es möglicherweise fachliteratur aus diesem radio-web-häuschen gab:

büscher-1938den “H. Büscher” kann ich nirgends finden. führt jetzt auch zu weit…

zurück zur zeitschrift. sie verstand, für die zeit ganz typisch, unter dem rundfunkhörer den radiobastler. menschen ohne technik-affinität konnten sich für den rundfunk 1928 noch nicht so richtig erwärmen.

die-sendung - november 1928 - seite-604“die sendung”, s. 604: schaltpläne für den radiobetrieb

 

9 sender 1925 | und wer hört zu?

in der dissertation des studenten ernst klöcker an der universität erlangen im jahre 1926 über das funkwesen in deutschland und die wirtschaftliche bedeutung des rundfunks finde ich eine statistik über die zahl der offiziell registrierten, also gebühren-zahlenden rundfunkteilnehmer im jahr 1925.

rundfunkhörerstatistik_nach_klöcker_1926rundfunkteilnehmer, aufgeschlüsselt nach sendeanstalten, 1925. nach: klöcker 1926

ich wollte mir das grafisch ansehen, denn bekanntlich können wir menschen solchen tabellen nicht sofort besonders viel abgewinnen. also ging ich zu google docs, legte eine tabelle 11 mal 10 an und bat meine frau, mir die werte in der tabelle aus dem buch vorzulesen, während ich sie eintippte. stumpfsinnig, aber nach 5 minuten erledigt. man hat dann ein digitales schätzchen, nämlich eine vielseitig auswertbare tabelle. in etwas größerem rahmen mit natürlich anderen daten wäre das ein prima anwendungsfall für data mining, um aus großen datenmengen signifikanzen herauszulesen, die wir mit bloßem auge nicht sehen. jedenfalls…

… ist google docs etwas sperrig zu bedienen. wenn man sich aber erstmal eingelesen hat, kann man aus dieser zahlenmatrix mit wenigen mausklicks verschiedene visualisierungen erzeugen. ich legte für die wikipedia diese hier an:

Rundfunkteilnehmer_1925_nach_Sendern[bei klick wir die grafik größer.]

nach oben sind die registrierten hörer eingetragen, und zwar in verschiedenen farben, die den einzelnen sendern zugeordnet sind. nach rechts verläuft die zeit, von ende 1924 (da war der “unterhaltungsrundfunk”, wie er damals hieß, genau 1 jahr alt) bis september 1925. man sieht, dass berlin viele mehr hörer hatte als alle anderen; die hörerzahl stieg innerhalb des jahres von unter 200.000 auf über 300.000, flachte aber im sommer 1925 ab. die schwächere zunahme der hörerschaft ist auch bei allen anderen sendern zu verzeichnen, bei manchen, etwa frankfurt, hamburg oder königsberg in preussen, gingen die zahlen sogar leicht zurück. der autor des buchs hat seine zahlen vom reichspostministerium und kann nur mutmaßen, ob es an einer, wie er sich ausdrückt, “rundfunkmüdigkeit” liegt oder an schlechter empfangsqualität wegen zu schwacher sendeleistung. in der ersten euphorie meldeten sich viele interessierte an, merkten dann aber, dass der empfang nicht optimal war. münchens sender etwa hatte nur eine reichweite von 25 km, also etwa bis freising oder starnberg, und wurde 1926 durch einen 10 kilowatt-sender ersetzt, der viel weiter reichte und auch von älteren rundfunkgeräten empfangen werden konnte.

wegen der dominanz des berliner senders ist die grafik oben nicht gut zu gebrauchen, um die hörerzahlen der kleineren sender zu beurteilen. mit der tabelle in der rückhand kann man ohne aufwand beliebige parameter darstellen, zum beispiel nur die entwicklung der rundfunkteilnehmerzahl für münchen:

Rundfunkteilnehmer_1925_Münchenin der eingangsgrafik oben sind alle sender zu sehen, und wenn man genau hinsieht, schneiden sich einige kurven, was in der realität heißt: ein sender überholt einen anderen; leipzig überholt münchen, und, schwerer zu sehen, münster überholt stuttgart. wenn man die drei hörerärmsten sender auflistet, sieht man, wie stuttgart und münster sich umschlängeln:

Rundfunkteilnehmer_1925_nach_3_Sendernim summendiagramm können wir die gesamtzahl der rundfunkteilnehmer sehen (also etwa 800.000 im spätsommer 1925). wir sehen hier aber auch, dass berlin (der untere hellblaue bereich) fast so “dick” ist wie alle anderen zusammen. der sender berlin hatte mehr als ein drittel der hörer aller deutschen sender:

Rundfunkteilnehmer_1925_nach_Sendern_total

der radio-händler | 1936

der radio-händler - august 1936titelblatt der ausgabe vom august 1936

typische recherche:

  • ich gucke die ebay-rubrik mit antiquarischen zeitschriften durch, gebe das stichwort “rundfunk” ein und finde unter anderem den “radio-händler”, diverse ausgaben von 1933–1938, von privat zu verkaufen.
  • um mir ein solches heft mal anzugucken, biete ich 2 €, werde sofort überboten, biete 3,52 €. paar tage später geht die auktion zu ende, in den letzten sekunden schaukelt sich der preis hoch zu 28 €. dasselbe spiel mit weiteren ausgaben.
  • ich frage eine nette kollegin im deutschen rundfunkarchiv, ob ihr eine zeitschrift dieses namens schon untergekommen ist, denn das DRA ist reich bestückt, auch mit rundfunkliteratur. die antwort: nein, haben wir leider nicht.
  • dann befrage ich mal die deutsche nationalbibliothek und die zeitschriftendatenbank. in der DNB werde ich nicht fündig, in der ZDB aber schon: Der Radio-Händler : Fachblatt für d. Handel mit Radioartikeln ; Rundschau über d. gesamte Radiotechnik. – Berlin   [1.]1923 – [4.]1926; 5.1927 – 15.1938. erhältlich in bibliotheken in münchen, berlin, leipzig und köln. in köln sogar an drei orten, unter anderem in der universitätsbibliothek. dort finden sich einige jahrgänge aus den 1930er jahren, also auch die, die bei ebay pro exemplar für über 20 € versteigert werden.
  • ich schwinge mich aufs rad, fahre zur kölner unibib und nehme mir die ersten beiden hefte des 1936er-stapels vor. zwei hefte, eine stunde staunen. das kann ja heiter werden…

der-radiohändler-1936

rundfunkgeschichte | bbc hand book 1929

gestern einige wikipediaeinträge mithilfe des bbc hand books 1929 geschrieben. das hand book ist ein wunderbarer reader für frühe, aber nicht ganz frühe rundfunktechnik und -ästhetik.

bbc hand-book 1929

Fernsehgottesdienste gehen auf Rundfunkübertragungen von Gottesdiensten zurück. Mit diesen hatte die BBC bereits wenige Jahre nach dem Start des Rundfunks 1923 reichlich Erfahrung. Das BBC Hand Book von 1929 widmet den „Broadcasts from Cathedrals“ (Übertragungen aus großen Kirchen) ein eigenes Kapitel, wo unter anderem die Mikrofonierung beschrieben wird:

„Die Hörer der Sendungen aus der Kathedrale von Canterbury haben sicher die vielen Schwierigkeiten kaum wahrgenommen, die wir mit ungünstigem Resonanzhall seit der ersten Übertragung hatten. Heute ist die Balance zwischen Orgel und Chor praktisch perfekt, aber es steckte dahinter erhebliches Experimentieren. Normalerweise sind vier Mikrofone im Einsatz. Eine feste Verkabelung besteht nur zur Kanzel; die anderen richten sich nach den jeweilig aktuellen Gegebenheiten.“

1923 startete der Rundfunk. Die Rundfunkanstalten trennten schon wenig später den Kontrollraum vom Aufnahmeraum ab. Zuvor standen Schauspieler und Techniker in einem Raum um das Mikrofon herum. 1929 spricht die BBC in ihrem Hand Book erstmals von „‚Mixing‘ Studios“ und erklärt den noch in Anführungszeichen gesetzten Begriff so: In längeren Rundfunkproduktionen wie zum Beispiel Hörspielen, die damals live aufgeführt wurden, gab es zwei Typen von Klangquellen – die Sprechstimmen und die Geräusche. Ursprünglich waren beide in einem Raum untergebracht, aber die Hörer beschwerten sich, bei lauten Effektgeräuschen der Erzählung nicht mehr folgen zu können. Als Konsequenz lagerte der Londoner Sender die „Noise Effects“ (Gewitter durch große Metallfolien, Pferdegalopp durch Stein auf Stein usw.) in einen gesonderten Raum aus; die Effektemacher hörten über Kopfhörer mit, was im Sprecherraum geschah.

„Die Klänge beider Studios wurden über Leitungen an ein zentrales Schaltpult übermittelt, das der leitende Produzent bediente. Dieser war dadurch in der Lage, die beiden Tonquellen in den exakt benötigten Mengen zu ‚mischen‘.“

Das Konzept war so erfolgreich, dass der Sender große Produktionen Ende der 1920er Jahre mit mehr als drei Studios fuhr. In einem saß ein Orchester, in einem anderen eine Band; auch die Schauspieler wurden in Gruppen getrennt, um verschiedene Akustiken herzustellen. Das Mischpult hieß damals noch „Switchboard“, also Schaltpult.

Als um 1930 das Schneiden von Schallplatten Standardtechnik zum Konservieren von Klängen in guter Qualität war, schossen Plattenfirmen und damit zusammenhängend Musikstudios aus dem Boden

1923 startete der Rundfunk. Bühnenschauspieler und Kabarettisten, die nun im Radio auftraten, fanden das Mikrofon irritierend. Zu einem Mikrofon, statt zu einem Publikum zu sprechen, war gewöhnungsbedürftig; außerdem waren Mikrofone in den späten 1920er Jahren bereits so empfindlich, dass man nicht mehr in sie hineinschreien musste. Das BBC Hand Book von 1929 widmet dem Mikrofon ein eigenes Kapitel mit der Überschrift „My Friend Mike“ (Mike als englische Kurzform für Mikrofon):

„Ich kenne Mike schon lange. Erstmals bin ich ihm 1922 begegnet. Er hatte damals noch keinen Thron, sondern hing so herum. Ich glaube, er ist sehr empfindlich, denn man wickelt ihn in Baumwolltücher. Ich mag Mike, weil er immer so gut von mir spricht und nie krank ist und mich Menschen vorstellt, die ich ohne ihn nie kennengelernt hätte.“

hörer hätscheln | wdr 5 lebensart

cuddling

wohlfühlhätscheln (foto von wikipedianer loliloli)

es gibt einige grundregeln im rundfunkjournalismus, zum beispiel die, den hörer nicht zu hätscheln. der hörer ist ein mensch auf augenhöhe, also behandelt ihn der moderator ordentlich, nicht anbiedernd. das gilt für die hörer, für die die rundfunkmacher ihr programm machen, ebenso wie für die hörer, die live in der sendung anrufen.

zu den hörer hätschelnden sendern gehören fast alle privaten, denn sie gieren aus rein ökonomischen interessen heraus darauf, den hörer für gewinnspiele, staumeldungen etc. zu ködern. bei den öffentlich-rechtlichen sendern wäre das nicht nötig, es passiert trotzdem in den “leichten wellen”. leichte wellen sind solche, deren ziel es ist, den hörer dezent zu unterhalten und nicht zu stören, weder mit wort, noch mit musik.

aber auch wellen mit eigentlich hohen wort- und inhaltsanteilen wie wdr 5 biedern sich dem hörer an und machen über lange strecken “wohlfühlprogramm”. die indizien für die anbiederung sind, dass der moderator die sendung mit einem satz wie “schön, dass Sie da sind”, “schön, dass Sie eingeschaltet haben” beginnt. das kann man auf verschiedene weisen sagen. eine weibliche stimme, die das sehr nah in ihr studiomikrofon haucht, ist besonders schlimm. es geht weiter mit einer an touristenanimationen in ägyptischen freizeitresorts erinnernde umwerbung des hörers, schon bevor er anruft: er möge doch jetzt bitte bitte anrufen. und wenn er dann anruft, der hörer, wird er, ganz gleich, was er sagt, hauptsache es ist einigermaßen nett, umgarnt und umsorgt.

wdr5gestern in der live-sendung wdr5 lebensart war das prototypisch der fall. es ging um die geschichte des festnetztelefons. eigentlich eine interessante geschichte (hatte bismarck ein telefon? wie hat hitler mit stalin telefoniert? war der mondscheintarif der deutschen post in den 1970er jahren eigentlich ein kommerzieller erfolg oder ein markendebakel?), aber die live in der sendung anrufenden hörer erzählten das, was die moderatorin schon in ihren zwei eingangsmoderationen ange”teasert” hat: nette geschichten, die jeder kennt. jeder hörer wurde von ihr eingepackt in ein “schön, dass Sie angerufen haben” und ein “tolle geschichte, vielen vielen dank!” entsprechend wohlfühlerisch riefen die nächsten hörer an, es war eine ganz unangenehm verhätschelte stunde.

das problem damit ist, dass es verschenkte (niemand erfährt etwas wirklich neues), peinliche (ein streichelzoo ist immer peinlich) sendezeit ist. ein nostalgisches thema wie dieses ist besonders gefährdet. der moderator muss die hörer streng führen, und dazu gehört es, von anfang an die wohlfühldecke peinlichst zu meiden. das bedeutet in der praxis, keine wohlfühlworte, und den hörer knapp halten; nicht, um ihm weh zu tun, sondern um meinungen zu sammeln. vielleicht hat der fünfte anrufer eine geschichte zu erzählen, die weder nostalgisch, noch stammtischhaft ist. journalistisches grundhandwerk von rundfunkmoderatoren.

es gibt im deutschen hörfunk zahlreiche beispiele, wo dieses anbiederungsbewusstsein vorhanden ist und die sendung mit ihrer frechheit oder trockenheit oder wahren empathie fesselt (1live, deutschlandfunk, domian). in wdr 5 ist es über große programmstrecken nicht vorhanden, und die gestrige ausgabe von “lebensArt” (wer kam denn auf das große A mitten wort?) mit dem titel “hörer im gespräch – telefongeschichten” war ein prototyp für diese erbärmlichkeit.

multimedia, virtual reality, immersion à la 1926

Ludwig Kapeller 1957 - Foto Fritz Eschendas ist ludwig kapeller, fotografiert 1957 von fritz eschen, gefunden bei der deutschen digitalen bibliothek www.ddb.de; die bilddatei liegt bei der deutschen fotothek [Datensatz-Nr.: obj 70243499] der besuch bei www.deutschefotothek.de in dresden lohnt sich.

aber ich wollte von ludwig kapeller erzählen, über den ich wenig weiß; er muss ein sehr junger autor gewesen sein, als er (siehe unten) im UHU-magazin 1926 eine vision von multimedialität, virtual reality und immersion zeichnete, die für eine sehr scharfe beobachtungsgabe sprach. von kapeller ist wenig biografisches bekannt; er war unter anderem schriftleiter in der rundfunkzeitschrift der nazis Der Rundfunk und konnte deswegen nach dem zweiten weltkrieg nicht die steile karriere, zum beispiel bei axel springer, verfolgen, wie er es wünschte. kapeller hat romane geschrieben, vor allem aber in seinen frühen jahren sachtexte über das neue medium rundfunk.

„Der Rundfunk von morgen: ein Druck auf den Knopf, und rauschender Schall, mit Tiefen und Perspektiven; und noch ein Druck: bewegtes Bild, Ton und Klang illustrierend, eine Drehung am Hebel, und England kommt, Boxkampf in London, mit Fäustekrachen und Schmerzensstöhnen, mit den raschen Gesten der Kämpfer; oder Amerika meldet sich, mit Jazz-Band-Synkopen und den schwarzen Gesichtern der ‚Chocolate-Kiddies‘; oder Rom mit Verdiklängen, mit den bunten Bildern italienischer Opern. Oder plötzlich, unheimlich, erleben wir gräßlich im ‚505‘, von meerumpeitschender Rundfunk-Regie irgendwo inszeniert, mit Sirenengeheul und Wogenprall, mit Verzweiflungsschreien, einen Untergang der ‚Titanic‘, nächtliches Bild menschlichen Todeskampfes. Und übermorgen vielleicht: der plastische, farbige, sprechende Rundfunk-Film, Erlebnis mit allen Sinnen erfassend und durch die Technik meistern, daß durch den Druck auf schwarzen Knopf Millionen Erlebenshungriger es sich enthülle.“

Ludwig Kapeller: Rundfunk von morgen, in Uhu, Ullstein Berlin Oktober 1926, S. 70

programmzeitschriften im jahr 1932

gerade im rundfunk jahrbuch 1933 gefunden und in den wikipedia-artikel über die geschichte des hörfunks in deutschland reingeschrieben.

funkstunde-und-werag_1932

Die regionalen deutschen Sender veröffentlichten regelmäßig Programmhefte für im Jahr 1932 den Preis von zwischen 25 und 90 Pfennigen pro Monat:

  • ”Funkstunde”, das offizielle Berliner Programmblatt, Verlag Funk-Dienst Berlin
  • ”WERAG”, das Ansageblatt des Westdeutschen Rundfunks, Rufu-Verlag Köln
  • ”Mirag”, die offizielle Programmzeitung des Groß-Senders Leipzig, Mirag-Verlag Leipzig
  • ”NORAG”, für den norddeutschen Sendebezirk, Rufu-Verlag Hamburg
  • ”Bayerische Radio-Zeitung”, für Bayern und Pfalz, G. Franz’sche Buchdruckerei München
  • ”S.R.Z.”, Südwestdeutsche Rundfunkzeitung, Südwestdeutscher Funk-Verlag Frankfurt
  • ”Königsberger u. Danziger Rundfunk Illustrierte”, für ganz Ostpreußen, Verlag Königsberger und Danziger Rundfunk Königsberg
  • ”Schlesische Funkstunde”, offizielles Organ der Sender Breslau und Gleiwitz, Schlesischer Funkverlag Breslau
  • ”Südfunk mit Süddeutscher Radio-Zeitung”, für Württemberg und Baden, Verlag Tagblatt Stuttgart

besuch im kommunikationsmuseumsdepot

südlich von offenbach ist ein kleines städtchen namens heusenstamm. dort befindet sich das depot, also das archiv des museums für kommunikation frankfurt/m. ich war jetzt zum zweiten mal da und bin gern dort. diesmal wies mich die dortige expertin für die geschichte der nachrichtentechnik lioba nägele auf ein paar bücher hin, die ich ausleihen konnte und jetzt anfange zu erschließen. eins davon fand ich selbst in der bibliothek, es war offenbar gerade aus einem sammlerkonvolut hereingebracht worden, das Rundfunk Jahrbuch 1933.

RundfunkJahrbuch_1933

das buch ist aus mehreren gründen spannend, unter anderem deswegen, weil es 1932 geschrieben und vermutlich ende 1932/anfang 1933 veröffentlicht wurde, als die nazis noch nicht vollständig an der macht waren. das buch ist stellenweise hochpolitisch, was ich jetzt in den wikipediaartikel über den damaligen, tiefbraunen reichsinnnenminister schrieb. hier einige der für die wikipedia entstandenen texte:

Artikel: Geschichte des Hörfunks in Deutschland

Die Vorläufer des Rundfunks in Deutschland waren der „Presserundfunk“ und der „Wirtschaftsrundspruch“, betrieben von der Eildienst G.m.b.H, mit einer überschaubaren Menge gut zahlender professioneller Empfänger, die vom Sender in Königs Wusterhausen über das ganze Reichsgebiet hinweg mit Nachrichten versorgt wurden. Der Wirtschaftsrundspruch startete 1922 mit 762 Empfangsstellen an 255 Orten (Abonnenten) und war ein Erfolg: Zwei Jahre später gab es 1181 Empfangsstellen an 513 Orten. Die Reichspost experimentierte von 1920 bis 1922 mit einem „Rundfunkempfangsnetz“. 1922 gab es 76 dafür geeignete Empfangsanlagen.

 

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Schon die letzte Reichsregierung der Weimarer Republik bereitete eine staatsnahe Rundfunkdoktrin vor. Reichsinnenminister Wilhelm von Gayl verkündete im Juni 1932 in der Rundfunksendung „Stunde der Reichsregierung“ diese Forderung an die Rundfunktreibenden:
„Die Reichsregierung legt Wert drauf, ihre Absichten und Handlungen dem deutschen Volke durch Benutzung der neuzeitlichen Einrichtung des Rundfunks unmittelbar mitzuteilen. Wir fühlen uns verpflichtet, uns auch an die Millionen deutscher Menschen zu wenden, die den Rundfunk in allen Teilen unseres Vaterlandes hören. Wir werden hinfort durch den Rundfunk unmittelbar zum deutschen Volke sprechen, damit es weiß, woran es ist, und weil es ein Recht hat, uns zu hören!“

 

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Artikel: Westdeutscher Rundfunk, Vorläufer ab 1924

 

Zwischen Oktober 1923 und September 1924 war das deutsche Reichsgebiet fast vollständig mit einem Netz an Rundfunksendern überzogen. In den nach dem Ersten Weltkrieg von alliierten Truppen besetzten Gebieten von Rhein und Ruhr wurde der Bau deutschsprachiger Sender untersagt. Deswegen richtete man im nicht besetzten Münster etwas verspätet den ersten Sender fürs Ruhrgebiet ein. Dazu begann man am 17. Juli 1924 mit den ersten Versuchen mit einem Lorenz-Sender, gründete am 15. September die „Westdeutsche Funkstunde AG“ (WEFAG), die am 10. Oktober ihren offiziellen Betrieb aufnahm und Hörfunksendungen unter der Kennung „Münster I“ ausstrahlte. Die Wellenlänge von 410 m ermöglichte eine unerwartet hohe Reichweite. Die Funkstunde leitete Hermann Krome, anfangs mit einem Vier-Mann-Orchester und einigen Schallplatten. Bei Sendebeginn hatte der Vorläufer des WDR 6114 angemeldete Hörer, einen Monat später bereits 9099. Als im Sommer 1925 die Besetzung des Ruhrgebiets endete, erwarben Tausende dort lebender „Schwarzhörer“ Rundfunklizenzen; die Menge der offiziellen Radiohörer stieg 1925 von 13.950 auf 83.400, also etwa auf das Achtfache. Am 21. Juli 1925 fand am Dortmund-Ems-Kanal bei Münster vermutlich die erste Sportübertragung im deutschen Rundfunk statt, bei der der Reporter nicht im Sender, sondern am Mikrofon vor Ort stand. Das Rundfunk Jahrbuch 1933 beschreibt es als die

 

„…erstmaligen Versuche, das Mikrophon aus dem engen Senderaum herauszuholen und mitten in das Leben zu stellen, […] um nach einem sorgfältig vorher aufgestellten Plan den Betrieb eines Ruderrennens zum Erstaunen der Hörer weiterzugeben. Heute können wir uns die damalige Begeisterung über das außerordentliche Neue kaum noch vorstellen, und nur die wenigsten der damaligen Hörer werden sich im Augenblick bewußt geworden sein, daß dies der Ausgangspunkt des heute so wichtigen Zeitfunks geworden ist.“
Der Erfolg zwang die Westdeutsche Funk-Stunde AG zu einer Ausdehnung nach Westen und zur Eröffnung zweier „Nebensender“ am 18. und 19. September 1925 in Dortmund und Elberfeld (heute zu Wuppertal). Ende 1926 zog die WEFAG nach Köln um und hieß fortan „Westdeutsche Rundfunk AG“ (WERAG). Das neu erbaute Funkhaus befand sich in der Dagobertstraße 38 und war über die Fernsprechnummern 5536 und 5537 zu erreichen.

 

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Artikel: Rundfunkgebühr, Frühgeschichte

 

Rundfunkgenehmigung 1932
Am Ende der Weimarer Republik bestand die Rundfunkgenehmigung aus einem sehr feinen Geflecht von „Hörerrechten und -pflichten“. Das von der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft herausgegebene Rundfunk Jahrbuch 1933 vergleicht die Gebühr von damals 2 Mark monatlich mit dem Waffen- oder Jagdschein, bei dem man das Recht erwirbt, etwas tun dürfen, keinesfalls aber ein Vertragsverhältnis über ein zu lieferndes Produkt eingeht. Der Eigenbau von Rundfunkgeräten bedurfte keiner Genehmigung, jede Antenne aber kostete ihre Jahresgebühr. Körperbehinderte und „wohlfahrtsunterstützte“ (also arbeitslose und verarmte) Menschen bekamen die Gebühr erlassen. Unternehmen und größere Hausgemeinschaften mit Untermietern, Hotels etc. bekamen Rabatte. Untersagt war das Verkabeln einer lizenzierten Anlage mit einer nicht lizenzierten in einem anderen Raum. Der zahlende Rundfunkhörer durfte sein Gerät bewegen und seine Antennen frei aufstellen, zum Beispiel auf am Dach, und vor Gericht bekamen in der Regel die protestierenden Hausbesitzer nicht Recht. Wer seine Rundfunkempfangsanlage mit auf Reisen nahm, um sie etwa am Urlaubsort zu betreiben, musste sein Genehmigungsschreiben mit sich führen, um es gegebenenfalls vorzulegen.

 

1932 stand es dem Hörer frei, was die Nationalsozialisten wenig später unter Todesstrafe stellten, auch ausländische Sender und Versuchssender zu empfangen. Wenn er jedoch beim Wählen der Frequenz auf nicht für die Allgemeinheit bestimmte Funknachrichtendienste des Hochsee-, Presse-, Sport- und Wirtschaftsfunks stieß, durften diese „weder niedergeschrieben, noch anderen mitgeteilt, noch gewerbsmäßig verwertet werden.“ Diese kommerziellen Übertragungen für spezielle Abonnenten waren technikhistorisch Vorläufer des öffentlichen Rundfunks, medienhistorisch Vorläufer der Nachrichtenagenturen und wurden später durch Telex abgelöst.

 

Wer wochenlang kein Radio hörte, musste trotzdem zahlen; beim Außerbetriebnehmen der Anlage konnte monatlich gekündigt werden, jeweils bis zum 16. des Monats bei seinem Postamt. Auch über die Lautstärke der Rundfunkwiedergabe wird in den Bestimmungen zur Rundfunkgenehmigung thematisiert. Bei offenem Fenster war geringe Lautstärke angeraten. Urteile wegen Ruhestörung durch „Lautsprecherlärm“ waren 1932 keine Seltenheit. Wer sich nachhaltige gestört fühlt, konnte auf Unterlassung klagen, wobei die Unterlassung sich auf die Lautstärke oder die Betriebsdauer bezog.

 

Für Störungen des Rundfunkempfangs übernahm die Reichspost keine Gewährleistung und verwies auf die Rundfunkgesellschaften, die verpflichtet seien, einen ordentlichen Betrieb zu sichern. Wenn allerdings eine neue Störquelle in der Nachbarschaft auftauchte, etwa durch „Polwechsler, Maschinen, Selbstanschlußämter“, konnte man die „Funkhilfe“ anrufen, und Ingenieure der Post kümmerten sich um das Problem. Umgekehrt musste der Gebührenzahler sicher stellen, dass seine (noch nicht durchgehend standardisierten) Anlage nicht andere störte, etwa den Betrieb von Fernsprechanlagen.