isolationshaft-terror | nach dem 20. juli 1944

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grundriss um 1896. das gebäude wurde 1955 komplett abgerissen.

weil ich gerade das hier lese:

Johannes Tuchel: ‚…und ihrer aller wartete der Strick‘. Das Zellengefängnis Lehrter Straße 3 nach dem 20. Juli 1944, Lukas Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-86732-178-5

…schrieb ich in die wikipedia: die rolle des “zellengefängnisses lehrter straße 3” in berlin nach dem attentat auf hitler vom 20. juli 1944:

Unmittelbar nach dem Attentat gründete am 21. Juli 1944 der Leiter des Amts IV des Reichssicherheitshauptamts Heinrich Müller die „Sonderkommission 20. Juli“. Von den etwa 400 Mitarbeitern dieser Gestapo-Sonderabteilung waren einige Dutzend im Zellengefängnis Lehrter Straße abgestellt. Die zunächst als Provisorium gedachte Aktion blieb bis Kriegsende als fester Teil des Gefängnisses erhalten. Die Gestapo sorgte unter anderem für verschärfte Haftbedingungen für Sympathisanten des Attentats und erledigte den Transfer der Gefangenen zwischen anderen Gefängnissen und Konzentrationslagern sowie zu den häufig mit Folter verbundenen Verhören im „Hausgefängnis“ der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße 8. Zahlreiche im Volksgerichtshof zu hohen Haftstrafen oder zum Tod verurteilte direkt oder indirekt am Umsturzversuch beteiligte Männer verbrachten Zeit im Zellengefängnis.

Zu den von der Sonderabteilung durchgeführten Haftverschärfungsmaßnahmen gehörte das Fesseln der Hände vor dem Bauch tagsüber und hinter dem Rücken über Nacht. Zudem wurden die Beine der Gefangenen nachts mit Ketten an der Wand neben dem Bett fixiert. Nachts blieb eine Lampe an. Sie wurde nur bei Fliegeralarm mit einem Tuch abgedeckt. Dies traf auch auf die Zellen mit Häftlingen zu, die nicht mit dem Attentat in Verbindung standen. Diese durften beim Schlafen die Hände nicht unter die Decke nehmen; die Wärter wollten damit Selbstmordversuche vermeiden. Die Ernährung aller Gefangener in dieser Zeit war katastrophal; manche nahmen innerhalb weniger Monate Haft bis zu 30 Kilogramm ab. Auch die medizinische Versorgung war nicht gewährleistet. Zahlreiche Insassen erkrankten schwer. Der am 20. Juni konspirativ beteiligte Prälat Otto Müller erlitt im Zellengefängnis einen Durchbruch eines Magengeschwürs und verstarb am 12. Oktober 1944 im nahegelegenen Polizeikrankenhaus.

Viele Häftlinge überlebten die Haft nur durch Geschenke von Verwandten und Bekannten. Um die Gefangenen herum bildeten sich Netzwerke von vor allem Frauen, die versuchten, meist über die Bestechung des Wachpersonals, Nahrungsmittel, Medikamente und Bücher zu überbringen.[3]

Unter den im Zellengefängnis Inhaftierten befanden sich mehrere Geistliche aus dem Widerstand wie der Jesuit Augustin Rösch. Eingeliefert am 13. Januar 1945 richtete er, von den Wärtern unentdeckte Beichten und täglich heilige Messen ein. Die in der Haftanstalt tätigen Kalfaktoren [4] deckten die illegalen katholischen Aktionen. Die Hostien für die Kommunion wurden von zwei Frauen in eigens dafür geschneiderten Leinentäschchen in das Gefängnis geschmuggelt.

Die meisten Sympathisanten des Widerstands warteten im Zellengefängnis auf ihren Prozess vor dem sogenannten Volksgerichtshof, sie waren also in Untersuchungshaft und wurden zu ihren vermeintlichen Verbrechen vernommen. Dafür waren zwei Räume in der Nähe des Eingangs vorgesehen, jedoch selten genutzt, denn man transportierte die Häftlinge zur Vernehmung fast immer ins 3 km entfernte Gestapo-Gefängnis. Dort war Folter die Regel, meist durch Schläge, Auspeitschungen, aber auch das Ziehen von Zähnen und Fingernägeln. Der ehemalige Polizeidirektor Paul Hahn berichtete über seine Rückkehr ins Zellengefängnis nach Stunden der Folter:

„Ich wurde per Auto, natürlich gefesselt und unter Bedeckung von zwei SD-Schergen nach der Lehrter Straße gebracht. Als ich dort ankam, sah ich aus den Mienen der mich in Empfang nehmenden Beamten, daß mein Aussehen auffallend war. Mein Gesicht war geschwollen und blutbeschmiert, meine Lippen blutrünstig und aufgeschlagen. Nach der Fesselung für die Nacht, Hände auf dem Rücken, Füße an die Wand angeschlossen, sank ich auf die Pritsche.“[5]

katholische deutschtümelei |1933

Deutscher Hausschatz - Januar 1933 - Titelseite

ich las heute eine ausgabe der im passauer verlag friedrich pustet erschienenen katholischen monatszeitschrift deutscher hausschatzübrigens ein link zu einer nicht-wikipediaseite, auch wenn sie so aussieht! zufälligerweise war es die ausgabe vom januar 1933, also druckfertig gemacht im dezember 1932, als der faschismus im deutschen reich einen erfolg nach dem anderen feierte, aber noch nicht abzusehen war, dass hitler ende januar 1933 reichskanzler werden würde. journalismus in den wenigen monaten vor der machtergreifung ist immer spannend zu betrachten.

an diesem urkatholischen heft wird deutlich, wie die redaktion hart an die grenze zwischen tradition und rassismus herangeht. auch einige frühere ausgaben, die ich las, sind sehr “germanisch” volkstümelnd, aber dieser artikel zeigt, wie die zeitschrift der rassenpolitik der nazis direkt in die hände spielt. mein vater (* 1926) las diese sätze von mir und schreibt dazu:

Hat mich nicht erstaunt. Der Pfarrer von Mies (wo ich im Internat war) war bei der SA. Stand mit erhobenem Arm, dem “deutschen Gruß”, vor dem Altar in der Kirche.
Die katholische Lehre war in meiner Kindheit auf alle Fälle antisemitisch. Diese Texte in der Zeitschrift passen also genau ins Bild.

der deutsche hausschatz heft 4/1932 rückt die kinderportraits der “braunen erna” in den vordergrund, einer 1883 geborenen, damals also 49jährigen fotografin in den mittelpunkt: erna lendvai-dircksen. ein fotografisch mittelmäßiges bild erscheint sogar im hochglanzdruck: “kinderbildnis”; es zeigt ein mädchen im profil, wie es einen apfel hält. ausgerechnet der apfel ist unscharf.

eine fotostrecke in der heftmitte präsentiert 9 weitere fotografien aus lendvai-dircksens buch “unsere deutschen kinder”. untypisch für die zeit ist der ernste blick der kinder – das ist eigentlich eine haltung der portraitfotografie des späten 19. jahrhunderts; viele fotografen zeigten um 1930 bereits neutralere posen.

umrankt wird die bildstrecke von einem text von paul seelhoff, der auf die tradierte christliche familienhierarchie (strenger vater, liebende mutter) setzt und nicht mit dem wort “deutsch” spart: “Hütet unsere deutschen Kinder!” heißt der artikel, und an keiner stelle wird klar, warum wir ausgerechnet um “das deutsche Kind” besorgt und als papa “ein rechter Vater eines deutschen Kindes” sein sollen.

vielleicht dewegen: “Glückselig das deutsche Kind, dessen Schritte so von einem rechten Vater geleitet werden!” denn, so der autor, die deutsche mutter kann, obwohl sie deutsch ist, oft “ihr Kind nicht verstehen”. dabei seien es gerade wir “Deutsche [die] über diese Dinge zutiefst nachzudenken vermögen”. woher der autor diese problematik zieht, ist unbekannt. seine haus- und hofpsychologie bringt ihn jedenfalls soweit, den mann als kind seiner mutter zu sehen; die ehefrau sei nichts weiter für ihn als eine fortsetzung dieser mutterbeziehung.

in dem artikel wird von den “Qualen der Gegenwart” geschrieben, die die (natürlich stehts arischen abgebildeten kinder) in ihrer naivität nicht wahrnehmen, weil sie eben unschuldige kinder sind.

es folgten bekanntlich unmittelbar nach erscheinen des hefts 12 “glorreiche” jahre für die vermeintlich “hohe rasse”, flankiert von der ausrottung all dessen, was nicht so aussah wie in erna lendvai-dircksens portraits. die fotografin hat übrigens nach dem zweiten weltkrieg noch eifrig im volkstümlichen rasse”kundlichen” stil weiterpubliziert. nach einem ersten verbot ihrer bücher in der sowjetischen besatzungszone fand sogar die DDR die fotos von ihr wert, neu herauszugeben.

die fotos unten bitte mit vorsicht genießen, nicht weiterverbreiten. die zeitschrift “deutscher hausschatz” gibt es seit langem nicht mehr, und auch nicht die verlage, in denen lendvai-dircksens rassenbücher erschienen sind. also konnte ich niemanden nach den bildrechten fragen. wenn’s probleme gibt, ganz unten stehen meine kontaktdaten.

Deutscher Hausschatz 1933 - Hütet unsere Deutschen Kinder“hütet unsere deutschen kinder!” von paul seelhoff, mit fotos von erna lendvai-dircksen, in “deutscher hausschatz” januar 1933

der radio-händler | 1936

der radio-händler - august 1936titelblatt der ausgabe vom august 1936

typische recherche:

  • ich gucke die ebay-rubrik mit antiquarischen zeitschriften durch, gebe das stichwort “rundfunk” ein und finde unter anderem den “radio-händler”, diverse ausgaben von 1933–1938, von privat zu verkaufen.
  • um mir ein solches heft mal anzugucken, biete ich 2 €, werde sofort überboten, biete 3,52 €. paar tage später geht die auktion zu ende, in den letzten sekunden schaukelt sich der preis hoch zu 28 €. dasselbe spiel mit weiteren ausgaben.
  • ich frage eine nette kollegin im deutschen rundfunkarchiv, ob ihr eine zeitschrift dieses namens schon untergekommen ist, denn das DRA ist reich bestückt, auch mit rundfunkliteratur. die antwort: nein, haben wir leider nicht.
  • dann befrage ich mal die deutsche nationalbibliothek und die zeitschriftendatenbank. in der DNB werde ich nicht fündig, in der ZDB aber schon: Der Radio-Händler : Fachblatt für d. Handel mit Radioartikeln ; Rundschau über d. gesamte Radiotechnik. – Berlin   [1.]1923 – [4.]1926; 5.1927 – 15.1938. erhältlich in bibliotheken in münchen, berlin, leipzig und köln. in köln sogar an drei orten, unter anderem in der universitätsbibliothek. dort finden sich einige jahrgänge aus den 1930er jahren, also auch die, die bei ebay pro exemplar für über 20 € versteigert werden.
  • ich schwinge mich aufs rad, fahre zur kölner unibib und nehme mir die ersten beiden hefte des 1936er-stapels vor. zwei hefte, eine stunde staunen. das kann ja heiter werden…

der-radiohändler-1936