das klexikon und | der po

oder: warum die erste freie Enzyklopädie für Kinder so unfrei ist

von Maximilian Schönherr (c)

 Mai 2015

 

po-versteckt

am ende dann von administrativer hand gut versteckt, der po

Es gibt eine Enzyklopädie, die ein Vorzeigeprojekt des Internet ist, weil sie nichts kostet, von allen geschrieben wird und trotzdem ziemlich vernünftig dasteht: die Wikipedia.

Ende jedes Jahres fordert der Verein, der dahinter steckt, die Wikimedia, Spendengelder ein. Von den Millionen finanziert die Wikimedia dann die Anwälte bei Rechtsstreits über bestimmte Artikel, die Programmierer, die Rechenzentren für die Daten – und ab und zu neue Projekte – wie eine Enzyklopädie für Kinder um die 10 Jahre.

Dieses Projekt heißt Klexikon und ist gerade im Entstehen. Das Klexikon wird offiziell, sobald es, spätestens Ende dieses Jahres, 1000 Artikel umfasst.

Nach anfänglich hervorragender Stimmung zwischen den beiden Initiatoren und einer Handvoll von Erstautoren kam es zum Eklat.

Einer der – selbstverständlich unbezahlt schreibenden – Autoren war an einer Schule vorbeikommen, hatte die Kinder laut sich gegenseitig die Worte „Arsch“ und „Arschloch“ zurufen gehört und bei sich gedacht: Jetzt ist ein Klexikon-Artikel fällig, der dem Arsch Wiedergutmachung leistet. Und er schrieb ihn.

Der Kinder-Artikel über den Po erzählte völlig unanzüglich vom großen Muskel, der uns das lange Sitzen und den aufrechten Gang ermöglicht, und von der kleinen ringförmigen Öffnung in der Mitte, die der bequemen Ausscheidung zuvor elegant verwerteter Nahrung dient. Der Artikel über den Po gereichte dem Arsch zur Ehre. Er war kindgerecht, rund und gut, meinten andere.

Aber einem der Initiatoren des Kinderlexikons gefiel der Po gar nicht. Er warf dem Autor vor, ein Thema behandelt zu haben, das nicht auf der Wunschliste stand. Auf der Wunschliste stehen Dinge wie Dreißigjähriger Krieg und Füllfederhalter. Der Po-Autor war schon vorher unangenehm aufgefallen, weil er ungeplant Artikel über Dinge ins Klexikon gebracht hatte, die Kindern näher stehen als der Füllfederhalter oder der Flaschenzug: übers Mobbing zum Beispiel, über den Begriff Online und die App.

Der Mit-Initiator pochte auf die Regel: Nur die Wunschliste ist abzuarbeiten! Es könnte ja sonst jeder daherkommen und tun was er will. In der Wikipedia kann jeder daherkommen und über alles schreiben, so (und nur so) funktionierte die Wikipedia von Anfang an. Das Klexikon aber nicht. Der Po-/Online-/App-Autor pochte darauf, Themen selbst zu setzen, denn ein Freiwilligenprojekt könne doch nicht funktionieren, indem man Autoren zu Themen zwinge, wie Redakteure eines Verlags das gern tun.

Diese Hartnäckigkeit gefiel dem Po-Gegner, der das Klexikon mit gegründet hat, gar nicht. Er löschte strafend ein Bewegtbild aus dem Artikel, das den Po-Muskel Gluteus Maximus beim Gehen zeigte (natürlich von hinten, geschlechtsneutral). Begründung für die Löschung: könnte bei den Kindern Lustgefühle entwickeln. Stattdessen kamen nun plötzlich Ausdrücke in den Artikel, die so rustikal sind, dass kein Kind sie kennt und kennen wird, wie „auf 10 Buchstaben sitzen“ und „Podex“, selbstverständlich samt etymologisch korrekter lateinischer Herleitung.

Der Po-Autor stellte, leicht angesäuert, in der Diskussion die Grundsatzfrage, ob man im Kinderlexikon vielleicht erst mal „prüde“ und „Lust“ besprechen müsse, bevor der überaus kräftige, elegante Gluteus Maximus von einem, dem der Po per se nicht passt, entfernt würde. Und er fragte ketzerisch, ob die Kinderenzyklopädie für Kinder oder vielleicht doch eher für Lehrer gedacht sei? Das fasste der Po-Kritiker als persönliche Beleidigung auf. Und schwieg fürderhin.

Bei der nächsten Konferenz der beiden Initiatoren des Klexikons aber schwieg er nicht mehr, sondern brachte diesen Fall vor. Und dann wurde entschieden, dass derlei Aufmüpfigkeit nicht willkommen ist. Ohne weitere Rückfragen sperrte man den Po-Autor aus. Konto stillgelegt. Von oben nach unten durchgegriffen, wie bei einem Verlag. Das Gegenteil dessen, wodurch die Wikipedia groß und stark wurde.

Ach so, der Autor von App, Online, Lineal, Fingernagel, Herz, Tür, Mikrofon, Mobbing und Po – war ich. Schade, ich hätte Euch gern weiter geholfen. Aber nicht mit Füllfederhalter, sondern vielleicht mit Skateboard, Death Metal, voll fett, cool und geil.


revision nach kurzer rücksprache, ob die beiden initiatoren sich einen monat später vielleicht an die eigene nase fassen: tun sie nicht. frühere postings über die damals noch aktuelle entwicklung im klexikon finden sich hier und hier und hier.