konvergenz | kostet

wenn adidas seine schuhsohlen mit 3D-druckern printet und die dafür verwendeten CAD-daten später beim verkauf online stellt, damit der kunde sich über den konfigurator seinen individualschuh zusammenstellt, heißt das konvergenz. diverse expertenschichten des betriebs konvergieren, fügen sich hier zusammen zu einem, und der kunde freut sich über das verkaufserlebnis eines individualisierten schuhs, während man ihn an die marke bindet wie nie zuvor.

dieser prozess ist in der fertigungsindustrie nicht selbstverständlich. der schuhmacher hat ja zunächst nicht viel mit dem CSS-programmierer gemein.

bei diesen in der größeren industrie weitgehend abgeschlossenen konvergenzprozessen fällt auf, dass sich die hierarchien innerhalb der firmen verschoben und wieder zurückverschoben. in zeiten, als die “mulitmedialität” ein buzzword war, waren die online-experten die kings. die anderen abteilungen, typischerweise die fertigung und der vertrieb, beknieten die onliner, doch bitte dies und das für sie zu tun, weil man merkte, das gesicht des ladens wird von außen durchs internet wahrgenommen, nicht mehr durch flugblätter, prospekte und fernsehwerbung.

die journalistischen medien kämpfen seit langem mit der multimedialität, die sie heute gern  “trimedialität” nennen, wobei TRI bei print bedeutet print + bild + film, beim rundfunk ton + bild + film – oder so ähnlich. “konvergenz” ist schicker, meint aber dasselbe.

die new york times hat vor einigen jahren videos eingeführt, die anfangs bisschen hemdsärmlig produziert waren, seit langem aber professionell aussehen, sogar (correct me if i’m wrong) colour matching zu nutzen, also die stimmige farbgebung von film zu film. gefühlt zwei jahre ist es her, dass die NYT erstmals virtual reality-filme anbot. die redakteureInnen, die die tollen artikel schreiben und dafür ausgebildet und eingestellt wurden, können das gar nicht. also heuerte man firmen an, die das können. das stellte sich als preiswerter heraus als die in-house-produktion. eine konvergenz hat die times dennoch nicht geschafft. sie ist im prinzip eine zeitung aus papier mit viel text und einigen bildern gewesen, und jetzt ist sie eine internetseite/app mit etwas anderem text, vielen vielen bildern und noch mehr kommentaren von lesern. die abrufe der videos spielen sich im marginalen bereich ab. konvergenz misslungen.

im moment setzt die new york times auf das magazinhafte und hat dann glücklicherweise profifotografen, die, man glaubt es kaum, gut texten können. siehe zum beispiel ivor pricketts bild/text-strecke über die tragik des zurückeroberten mosuls. statt die videos als videos auf die hauptseite zu stellen, promotet man artikel, die mit reichem anders-medialen content angefüttert sind, wie hier: → wasserkraftwerk am columbia river. fotos/filme von chang w. lee, text von jemandem anderen, kirk johnson.

wenn sich eine zeitung im internet präsentiert, ist das ähnlich, wie wenn sich ein fernsehprogramm im internet präsentiert. man muss das medium dafür nicht neu erfinden: das was im TV in realtime läuft, sieht im internet genauso aus, es ist nur on demand abrufbar. die fernsehsendung im internet hat ähnlich dürre textbeigaben wie der gute alte videotext. im prinzip ist fernsehen so wenig konvergent wie print – da muss nichts groß konvergieren, man muss es nur transferieren. in den führungsetagen der sender heißt das auch: “mehrere ausspielwege bedienen”.

beim hörfunk, der ins internet geht, ist die lage qualitativ anders, weil webseiten zwar töne abspielen können; aber im prinzip sind webseiten eben seiten, also dinge zum angucken, und radio ist etwas, wo man eigentlich nichts angucken muss. das ist ja das tolle und ewig merkwürdige am rundfunk, dass man beim morgens zähneputzen oder in die arbeit fahren nichts spezielles angucken muss, wenn aus dem radio oder radioplayer die informationen am morgen oder die mäßigen witze von 1live schallen.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5a/Girl_listening_to_the_radio_%E2%80%93_ca._1938_-_FDR-library_27-0755M.jpg

mädchen guckt radio. quelle: wiki commons

weil aber immer mehr leute googeln, hat sich das hörverhalten geändert. viele leute suchen nach einem thema und finden dann hörfunkbeiträge auf webseiten, ohne das programm je gehört zu haben, ja ohne von dem sender jemals gehört zu haben. das fing ganz zart an: wenn jemand vor 20 jahren nach “ausländer” googelte, stieß er ziemlich sicher auf das ZDF, weil das ZDF eine der ersten öffentlich-rechtlichen webseiten überhaupt hatte und man dann einen hinweis auf eine “ausländer”-sendung fand und das manuskript per post anfordern konnte. die webseite war fast 20 jahre nicht viel mehr als ein begleittext zum programm. bald wird kaum jemand mehr das ZDF angucken, immer mehr nutzen die mediathek – diesen zweiten ausspielweg.

wenn heute jemand nach brexit googelt, beginnt hinter den kulissen ein konkurrenzkampf, wer seinen brexit-content bei google nach oben schieben kann. wer hier gar nicht dabei ist, weil er zwar tolle radiobeiträge über den brexit macht, aber keine schillernde webseite dazu generiert, die viel “traffic” zieht, gilt als digital abgehängt. die aktuelle suche nach brexit präsentiert ganz groß zwei fernsehredaktionen und eine zeitung:

webseite von google bei suche nach brexit

interessant daran ist übrigens die konvergenz der tagesschau: “vor 40 minuten” wurde gar keine tagesschau ausgestrahlt, aber die online-redaktion hat offenbar einen artikel dazu geschrieben. wenn wir darauf klicken, freut sich der NDR über den klick, vor allem aber freut sich google.

direkt darunter auf der suchseite von google setzt sich das hickhack fort. warum steht wohl zeit.de ganz oben, und warum kommen unter den ersten 10 keine öffentlich-rechtlichen rundfunkanstalten vor, die wikipedia und web.de aber schon?

weitere brexit-konkurrenz auf google

die “währung”, die dahinter steckt, ist die der aufmerksamkeit. wenn die aufmerksamkeit nicht mehr über die UKW-skala erfolgt, sondern verstärkt über google, ist das die währung, und daher kommt der konvergenzdruck – auch beim öffentlich-rechtlichen rundfunk.

dabei steht nirgends im rundfunkstaatsvertrag geschrieben, dass sich der rundfunk im www platzieren muss. er könnte das auch unterlassen, würde dann aber schnell allenfalls zum geheimtipp werden, zum geheimtipp auf UKW, und wenn UKW abgeschaltet wird, zum noch geheimeren tipp auf DAB+. denn die musik spielt nicht mehr lange über antenne, sondern im internet.

bei adidas rechnet sich die konvergenz, bei spiegel online und zeit.de wegen page impressions und werbeeinnahmen natürlich auch. beim öffentlich-rechtlichen rundfunk aber muss draufgezahlt werden.

was im moment in allen häusern passiert, ist eine bewegung des programms ins internet, wobei die online-redaktionen gestärkt werden, wie früher bei adidas – eigentlich eine verdrehung der tatsachen. die journalisten erzeugen den content, die online-kollegInnen stellen den content gut aus. den content gäbe es auch ohne internet.

die konvergenz erzeugt druck und tut weh. es knirscht, und spähne fliegen. denn die kernkompetenz des radiojournalisten, rundfunkmoderators  und -redakteurs ist das radiohandwerk, nicht das anfertigen von markengerechten fotos und videos. die fernsehleute können traditionell gut filme drehen und schneiden, aber nicht gut texten; die hörfunkleute sind gute texter, aber die meisten haben keine ahnung davon, wieviel video-footage man braucht, um einen fünfminüter hinzukriegen – sehr viel! texten für twitter funktioniert anders als teaser-texte, pressetexte oder online-texte zu schreiben. man kann sich jetzt auf den standpunkt stellen, die früher “sekretärinnen” genannten heutigen “produktionsassistenten” müssten sich halt in alle stufen der produktion einbringen – aber sollen sie den redakteuren ihre kernarbeit abnehmen, gut zu recherchieren und zu texten?

wären sie adidas oder IBM, wäre das gut durchfinanziert – und erledigt. aber im öffentlich-rechtlichen bereich muss alles “kostenneutral” durchgeführt werden; die sender bekommen ja keinen cent mehr an rundfunkgebühren. jetzt müssen sie ein artfremdes medium bedienen, mit viel verschließ intern. denn kostenneutral heißt eben, dass die redaktionen das erleben, was in die arbeitsstatistiken nicht eingeht, nämlich eine arbeitsverdichtung wie nie zuvor. es ist eine ganz grundsätzliche gesellschaftliche frage, ob man jemandem eine menge zusatzarbeit innerhalb seiner regulären arbeitszeit aufhalsen darf, nur weil er/sie es “irgendwie” kann – oder können muss. und das jeden tag. und dann der frust: die online-kollegen haben das ganze material umgestellt, falsch beschriftet usw. verschleiß, zumindest in der konvergenzphase.

typische dachmarkenstruktur. grafik: gnom/credibilty wikicommons

in den konvergenzgremien schwirrt das wort “marke” umher, immer häufiger hört man auch “dachmarke” – beides begriffe aus einem bereich, der dem neutral berichtenden gewerbe des journalismus geradezu artfremd ist, eben der werbung. werbung blendet bekanntlich, sie kann auch betriebsblind machen. ich kann mich gut erinnern, wie in einzelnen öffentlich-rechtlichen rundfunkanstalten die konkurrenz zwischen einzelnen wellen-“marken” (XX1 bis XX5) unheimlich viel raum einnahm, also die abgrenzung der submarken untereinander, der klassischen musik vom gesprochenen wort vom schlager vom hiphop vom sport von den nachrichten. das führte zu großem verschleiß bei redakteuren wie freien mitarbeitern, die jahrlang, während diese ansage galt, “wellengerecht” beiträge einkaufen und sie wellengerecht darbieten mussten. dann kamen die phasen, als man auf einmal, und am besten ab sofort, die dachmarke stärken sollte usw. was für ein verschleiß! mich fragte kürzlich jemand, ob der deutschlandfunk jetzt eine vierte welle hat, nämlich DLF24? gute frage.

es kann gut sein, dass es in 5 jahren twitter nicht mehr gibt, dass dann keiner mehr auf webseiten geht, sondern alles in apps auf smartphones abläuft. das wäre dann konvergenz pur. es kann gut sein, dass es in 10 jahren statt 50 öffentlich-rechtlichen rundfunkwellen in deutschland nur noch 15 gibt, weil es in zeiten der konvergenz irrelevant ist, ob ich BR 4 Klassik in bayern oder in niedeersachsen höre, und den DLF in berlin oder toronto. das wäre eine konvergente entwicklung des föderalen rundfunksystems. ob man’s haben will, sei dahingestellt, es wird alles betriebsintern teuer und muss alles kostenneutral abgewickelt werden. im moment bahnt sich die wellenkonvergenz bereits an: es gibt features und hörspiele, die ARD-weit gesendet werden und sich als submarken präsentieren. in den nachtprogrammen finden zusammenschaltungen statt. vor allem aber, und das merken inzwischen auch die hörer, werden in allen wellen, vom deutschlandfunk abgesehen, rundfunkbeiträge so stark reduziert, dass oft stundenlang fast nur musik zu hören ist, auch wenn die sendung noch das label des “kulturmagazins” trägt. wellen, die fast nur noch aus musik bestehen, kann man abschaffen. über spotify kann ich mir meine musikauswahl selbst zusammenstellen (lassen).

so, und jetzt konfiguriere ich mir bei adidas.com den nächsten super konvergenten superstar.

trimedialität gibt’s nicht | kostenlos

trimedialer beitrag auf nyt.com

in allen möglichen sendern und zeitungsredaktionen verbreitet sich das wort “trimedialität”. das ist mehr als ein buzzword, es bedeutet nämlich, dass man print/ton, foto/film, internet nicht unbedingt trennen kann. in den rundfunkredaktionen, die ich so kenne, bekommt deswegen seit jahren die online-redaktion immer mehr gewicht, und für typische radiojournalisten werden tarife ausgehandelt, damit sie ihre fotos vom interview- oder reportageort auch ordentlich honoriert bekommen.

im bild oben ist ein artikel in der heutigen new york times zu sehen, in dem sich patrick kingsley mit erdogans türkei beschäftigt. der klick → darauf startet eine diashow mit schlagzeilenartig eingesetzten texten des autors, seiner stimme und einigen kurzen filmclips. kein herausstechendes beispiel von trimedialität, sondern typisch trimedialer alltag. der autor musste dafür filmen, sprechen und texte schreiben können, die internetgerecht sind. hoffentlich wird er ordentlich honoriert, falls er nicht eh fest angestellt ist.

auch den festangestellten wird durch die trimedialität immer mehr arbeit aufgehalst. das führt einerseits dazu, dass sie ihre kernkompetenzen erweitern müssen, was ja nicht schlecht ist, aber andererseits zu weiterer arbeitsverdichtung und demotivation.

wenn mich ein öffentlich-rechtlicher sender bitten würde, für meine nächste größere sendung eine trimediale strecke wie die von patrick kinsley anzulegen, würde ich sagen: gern. und das kostet ein trimediales honorar, nämlich das dreifache des normalen honorars.

so ist es aber nun leider nicht. deswegen nur gut, dass die gewerkschaft hier druck macht und dass sich manche autoren und redakteure wehren: trimedialität gibt’s nicht für lau.