unreifes österreich | 1865

auf der suche nach frühen erwähnungen von “tax reform” in amerikanischen parlamentsdokumenten stieß ich auf einen band von 1865, veröffentlicht 1866, in dem der österreichische diplomat und erzkatholizist graf  von thun zitiert wird: eine steuerreform in österreich sei undenkbar, denn es gingen reihenweise haushalte bankrott, so käme man nie zu einem ausgeglichenen staatshaushalt.

leo graf thun, lithographie von josef kriehuber, 1850

kommen wir zu einem in etwa gleichaltrigen amerikaner, der österreich als diplomat zumindest entfernt kannte. holland lag ihm näher: john lothrop motley:

 

john lothrop motley, foto von mathew b. brady, 1860

österreich war 1865/66 ein einer finanzkrise und einer politischen zwickmühle, die sich im deutschen krieg zu seinen ungunsten auflöste. es ging um die frage, ob österreich oder preußen das sagen hat. die preußen provozierten mit dem antrag, österreich möge sich eine parlamentarische verfassung geben, und marschierten in holstein ein, was damals von österreich regiert wurde. nach der verlorenen schlacht bei königgrätz 1866 stellte sich das wirtschaftlich schon vorher fast bankrotte land neu auf und wandte sich ungarn als partner zu. im norden entstand langsam das deutsche reich, im südosten die österreichisch-ungarische monarchie.

Szene aus der kriegsentscheidenden Schlacht bei Königgrätz (Gemälde von Georg Bleibtreu)

die schlacht bei königgrätz 1866, gemalt von georg bleibtreu

worauf ich aber eigentlich hinaus wollte, ist die diplomatische korrespondenz des US-präsidenten vom juni 1865. hier fiel erstmals in den amerikanischen aufzeichnungen das wort “tax reform”, und zwar im zusammenhang mit einer österreichischen steuerreform, die das land wirtschaftlich hätte retten sollen, aber nicht können, weil die menschen so arm waren, dass sie höhere steuern eh hätten nicht zahlen können.

dieser teil des buchs ist der diplomatischen korrespondenz gewidmet, also der sicht amerikas auf den rest der welt. eine seite zuvor beschreibt der US-diplomat und erklärte anti-katholik john lothrop motley, dass demokratische strukuturen in österreich “nicht möglich, kaum vorstellbar oder wünschenswert” seien. aber auch so wie es jetzt sei, könne man von österreich keine große wirtschaftliche bedeutung erwarten, denn klassenunterschiede verhinderten dies. die mehrheit der österreicher arbeite 12 stunden täglich und verdiene nur 1/10tel dessen, was ihre amerikanischen arbeiter nach hause brächten.

etwas weiter oben bringt der damals 51jährige historiker österreich in verbindung mit den niederlanden – letztere eines seiner lieblingsthemen: ein protestantisches land auf erfolgskurs. wörtlich übersetzt:

“Zweifels ohne hat Österreich riesige, geradezu unerschöpfliche Ressourcen. Aber das ist kaum mehr als eine leere Phrase. Die Ressourcen von Mexiko sind enorm, soe wie auch die der Türkei, während die nationalen Ressourcen Hollands praktisch null sind. Trotzdem ist Holland immer wieder einer der reichsten und produktivsten Staaten der Welt.”


dokumentenquelle:
Message of the President of the United States, and accompanying documents, to the two Houses of Congress, at the commencement of the first session of the Thirty-ninth Congress. Part III.