fake news 1933 | hitler

während ich so die sitzungsprotokolle des deutschen reichstags um 1932 herum höre und lese, taucht zunehmend eine person in den reden auf, die gar nicht im reichstag sitzt, nämlich adolf hitler. hitler saß da vor allem deswegen nicht, weil er als österreicher gar nicht als abgeordneter nach berlin gewählt werden konnte. es passte ihm aber sicherlich auch in seine machtpläne, zu warten, bis sich die weimarer republik selbst an die wand fährt, und ließ so lange seine weggefährten frick und goebbels den reichstag mit ihren scharfmacherreden zu bestücken.

mit der 7. wahlperiode (januar 1933) kam er dann ganz legal an die macht. die NSDAP brauchte dazu nur einen kleinen koalitionspartner, nämlich die deutschnationalen. göring war schon im dezember mit ordentlicher mehrheit zum reichstagspräsidenten gewählt worden und präsentierte dem hohen haus nun nicht den österreicher hitler, sondern den reichskanzler hitler, und der kam nicht in zivil, sondern in seiner braunen uniform. es war der 23. märz 1933, und aus dieser sitzung kamen die nationalsozialisten, → mit aller macht der welt ausgestattet, heraus.

hier das sitzungsprotokoll, seite 25. der beginn von hitlers sanfter, aber bestimmter rede. er musste an dem tag noch diplomatisch auftreten, um die katze in den sack zu bekommen. weil die sozialdemokraten niemanden im parlament mehr hassten als die kommunisten, eckte hitler auch mehrheitlich nicht an, wenn er sich bereits im zweiten absatz die “marxisten” vornimmt. er wirft ihnen vor, fake news verbreitet zu haben, nämlich dass deutschland am 1. weltkrieg schuld gewesen wäre. er widerlegt diese behauptung mit den worten, sie sei “wissenschaftlich und sachlich falsch”.

 

endlich darf der österreicher im reichstag reden.

etwas später – da hat er das ermächtigungsgesetz schon in der tasche – tritt er nochmals ans rednerpult, um den SPD-abgeordneten und parteichef otto wels fertig zu machen. da wird die wortwahl schon deftiger:

„Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie!“[8]

und joseph goebbels notierte tags darauf, als das gesetz in kraft trat, in seinem tagebuch:

„Man sah niemals, daß einer [Otto Wels] so zu Boden geworfen und erledigt wurde wie hier. Der Führer spricht ganz frei und ist groß in Form. Das Haus rauscht vor Beifall, Gelächter, Begeisterung und Applaus. Es wird ein Erfolg ohnegleichen.“

in den tagen danach war die ausländische presse mehr oder weniger sprachlos über diesen völlig legalen staatsstreich. einige medien zitierten wels, breitscheid und andere SPD- und KPD-abgeordnete, worauf die nazis im doppelstreich die ausländische presse als korrupt und die deutsche linke als verräter hinstellten.

der vergleich mit dem aktuellen interimspräsidenten der USA wäre aus der luft gegriffen und sowieso völlig daneben. aber seine kleingeistige strategie funktioniert genau so:

  • a) einfach was behaupten, mit der begründung, es stimme eben so,
  • b) alle, die es ablehnen, also lügner hinzustellen,
  • c) den medien, die ihn kritisieren, hetzjagd-instinkt anzuheften und
  • d) denen, die den bösen medien informationen in die hand spielen, den teufel an den hals zu wünschen.

“das reich der frau” | 1933

in der katholischen zeitschrift “deutscher hausschatz” (siehe dazu den eintrag → hier) gab es viele jahre die rubrik “Das Reich der Frau”. in der ausgabe vom august 1933 (59. jahrgang!) beschreibt helene seyfried (von der man nie mehr etwas gehört oder gelesen hat) die beziehung zu ehemann und kindern wie folgt. zunächst die kinder, überschrift “Das Minderwertigkeitsgefühl bei Kindern”:

„Man ist oft versucht zu glauben, der ‘Minderwertigkeitskomplex’ bei Erwachsenen werde nur vorgetäuscht, weil er gerade in Mode ist. […] Na, das sind so kleine menschliche Schwächen, die man nicht tragisch zu nehmen braucht. Ernster und tiefgreifender ist jene Minderwertigkeit, die man von anderen Menschen zum Vorwurf bekommt. Da ist zum Beispiel junges Menschenkind, das den besten Willen hätte, tüchtig zu sein, aber von einem in alten starren Anschauungen verknöcherten Vater oder einer ewig unzufriedenen Mutter ständig vorgehalten bekommt: ‘Du bist nichts und kannst nichts, aus dir wird nie etwas Gescheites werden, alles fängst du verkehrt und unpraktisch an!’ Es wäre viel gescheiter, die Eltern würden ihrem Kind beibringen, wie es eine Sache besser machen kann, statt ständig, seine Leistungen herabzusetzen. Dadurch wird ja des Kindes ganzes Selbstbewußtsein, sein ganzer Geltungstrieb, der im späteren Leben so notwendig wäre, unterdrückt6 und vernichtet. Und mit der Zeit glaubt das Kind ganz von selbst, daß es tatsächlich nichts ist und nichts kann und es niemals zu etwas bringen wird.“

es wäre kein katholisch-konservatives blatt, würde die autorin nicht hinterherschicken, dass eine gesunde mischung aus “kleinem lob” und “kleinem tadel” genau das richtige für das kind sei.

Neglected_child_L.W.-Hine_1917 vernachlässigtes kind (neglected child), 1917, oklahoma city. foto: l. w. hine

in sachen mann und ehe hat helene seyfried eine einzige message: er bringt in einem harten job das geld ins haus, also soll sie ihn nicht mit dingen aus ihrem alltag belästigen, sondern, so der tipp an die hausfrau:

„…lege deine Erholungsstunden so, daß sie mit denen deines Mannes zusammenfallen.“


ps.: das foto oben hat nichts mit der zeitschrift zu tun; ich fand es in den wiki commons. der fotograf, lewis hine, hat zahlreiche fotos gemacht, die soziale unterdrückung, ausbeutung und verwahrlosung zeigen.

katholische deutschtümelei |1933

Deutscher Hausschatz - Januar 1933 - Titelseite

ich las heute eine ausgabe der im passauer verlag friedrich pustet erschienenen katholischen monatszeitschrift deutscher hausschatzübrigens ein link zu einer nicht-wikipediaseite, auch wenn sie so aussieht! zufälligerweise war es die ausgabe vom januar 1933, also druckfertig gemacht im dezember 1932, als der faschismus im deutschen reich einen erfolg nach dem anderen feierte, aber noch nicht abzusehen war, dass hitler ende januar 1933 reichskanzler werden würde. journalismus in den wenigen monaten vor der machtergreifung ist immer spannend zu betrachten.

an diesem urkatholischen heft wird deutlich, wie die redaktion hart an die grenze zwischen tradition und rassismus herangeht. auch einige frühere ausgaben, die ich las, sind sehr “germanisch” volkstümelnd, aber dieser artikel zeigt, wie die zeitschrift der rassenpolitik der nazis direkt in die hände spielt. mein vater (* 1926) las diese sätze von mir und schreibt dazu:

Hat mich nicht erstaunt. Der Pfarrer von Mies (wo ich im Internat war) war bei der SA. Stand mit erhobenem Arm, dem “deutschen Gruß”, vor dem Altar in der Kirche.
Die katholische Lehre war in meiner Kindheit auf alle Fälle antisemitisch. Diese Texte in der Zeitschrift passen also genau ins Bild.

der deutsche hausschatz heft 4/1932 rückt die kinderportraits der “braunen erna” in den vordergrund, einer 1883 geborenen, damals also 49jährigen fotografin in den mittelpunkt: erna lendvai-dircksen. ein fotografisch mittelmäßiges bild erscheint sogar im hochglanzdruck: “kinderbildnis”; es zeigt ein mädchen im profil, wie es einen apfel hält. ausgerechnet der apfel ist unscharf.

eine fotostrecke in der heftmitte präsentiert 9 weitere fotografien aus lendvai-dircksens buch “unsere deutschen kinder”. untypisch für die zeit ist der ernste blick der kinder – das ist eigentlich eine haltung der portraitfotografie des späten 19. jahrhunderts; viele fotografen zeigten um 1930 bereits neutralere posen.

umrankt wird die bildstrecke von einem text von paul seelhoff, der auf die tradierte christliche familienhierarchie (strenger vater, liebende mutter) setzt und nicht mit dem wort “deutsch” spart: “Hütet unsere deutschen Kinder!” heißt der artikel, und an keiner stelle wird klar, warum wir ausgerechnet um “das deutsche Kind” besorgt und als papa “ein rechter Vater eines deutschen Kindes” sein sollen.

vielleicht dewegen: “Glückselig das deutsche Kind, dessen Schritte so von einem rechten Vater geleitet werden!” denn, so der autor, die deutsche mutter kann, obwohl sie deutsch ist, oft “ihr Kind nicht verstehen”. dabei seien es gerade wir “Deutsche [die] über diese Dinge zutiefst nachzudenken vermögen”. woher der autor diese problematik zieht, ist unbekannt. seine haus- und hofpsychologie bringt ihn jedenfalls soweit, den mann als kind seiner mutter zu sehen; die ehefrau sei nichts weiter für ihn als eine fortsetzung dieser mutterbeziehung.

in dem artikel wird von den “Qualen der Gegenwart” geschrieben, die die (natürlich stehts arischen abgebildeten kinder) in ihrer naivität nicht wahrnehmen, weil sie eben unschuldige kinder sind.

es folgten bekanntlich unmittelbar nach erscheinen des hefts 12 “glorreiche” jahre für die vermeintlich “hohe rasse”, flankiert von der ausrottung all dessen, was nicht so aussah wie in erna lendvai-dircksens portraits. die fotografin hat übrigens nach dem zweiten weltkrieg noch eifrig im volkstümlichen rasse”kundlichen” stil weiterpubliziert. nach einem ersten verbot ihrer bücher in der sowjetischen besatzungszone fand sogar die DDR die fotos von ihr wert, neu herauszugeben.

die fotos unten bitte mit vorsicht genießen, nicht weiterverbreiten. die zeitschrift “deutscher hausschatz” gibt es seit langem nicht mehr, und auch nicht die verlage, in denen lendvai-dircksens rassenbücher erschienen sind. also konnte ich niemanden nach den bildrechten fragen. wenn’s probleme gibt, ganz unten stehen meine kontaktdaten.

Deutscher Hausschatz 1933 - Hütet unsere Deutschen Kinder“hütet unsere deutschen kinder!” von paul seelhoff, mit fotos von erna lendvai-dircksen, in “deutscher hausschatz” januar 1933