lügenhafte | berichte

dies ist der beginn eines in einer new yorker zeitung veröffentlichten briefs vom august 1914:

1914 waren praktisch alle bevölkerungsgruppen in deutschland, von den kommunisten und teilen der sozialdemokraten abgesehen, wie man heute sagen würde “kriegsgeil”. sie lechzten nach dem krieg, ohne genau zu wissen, warum und wozu. ausschlaggebend für die kriegseuphorie waren “gefühle”, die der kriegslüsterne kaiser beförderte, die aber auch ohne ihn auf so fruchtbarem boden keimten, dass kein halten mehr war.

die autorin dieses briefs war die ältere tochter des später NS-nahen schriftstellers und komponisten → paul oskar höcker . der vater hatte sich freiwillig zur front gemeldet und war weg. tochter thea wollte ihrem onkel in amerika (hoboken, new jersey) vermitteln, dass sich die welt ändert, egal für wie dumm die amerikaner sind. der onkel, h. linke, wohnte hier:

haus des adressaten. google street view.

es ist für heutige verhältnisse rätselhaft, woher die euphorie von thea höcker und millionen anderer reichsbürger (und österreicher) kam. paar zitate aus dem brief, der ansonsten → hier bei der libary of congress zu lesen ist:

deutschland werde “das kriechend, feige, hinterlistige Gesindel besiegen”. einen tag zuvor war “Vati’s Stück Das Volk in Waffen unter begeistertem Beifall aufgeführt” worden. “Ich habe noch nie etwas so Erhebendes erlebt, außer an den Tagen der Mobilmachung Unter den Linden und vor’m Schloß.” thea höcker ist “ganz wild vor Begeisterung”, aber “unglücklich, kein Junge zu sein. […] Der Gedanke, sein Leben herzugeben, ist doch wunderbar groß.” kunst, bücher und anderes, woran sie bis vor kurzem gehangen hatte, gelten nichts mehr. alles ist nichtig ob dieses “tiefen, heiligen Patriotismus”.

thea, die vermutlich zwischen 20 und 30 jahre alt war, hatte eine 13jährige schwester, die im selben artikel mit einem gedicht den sieg eines deutschen marinekreuzers über russische stellungen feiert:

“Und hieb auf den Schnabel das russische Corps.”

der zeitungsausschnitt mit diesen deutschsprachigen dokumenten ist überschrieben mit “Deutschlans Jugend in heller Begeisterung.”

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