cicero online | inhalt total unwichtig

bekanntlich kämpfen die traditionellen print-unternehmen ums überleben. das führt in vielen fällen (wie → diesem bei der zeitschrift focus etwa) zu erschreckenden eingriffen in die inhalte, wie hier zum beispiel bei der kulturzeitschrift cicero:

cicero_webseiten_problemefalsch verstandenes webdesign bei cicero

als ich → amelies kolumne lesen wollte, tat sich also eine baustelle auf, die ich nicht erwartet hatte. die webseite (screenshot oben) ist umgeben von einem roten rand. es handelt sich dabei um eine voll gesättigte, rein rote farbe (code ff0000). diese farbe ist, wie auch das reine gelb oder grün, im webdesign tabu. sie tut dem auge weh.

oben links machen sich farb-inkonsistenzen bemerkbar: die farbe des cicero schriftzugs, des webseiten-rands und der sparkassen-werbung passen nicht zusammen. früher hätte man gesagt, sie beißen sich. unten in der testabo-werbung, sind zwei weitere rot-typen zu sehen. ich würde einem webdesigner, der das verantwortet sagen, gehe zurück auf los, ziehe keine 200 € ein.

der rechte rand der webseite zeigt zahlreiche in schneller folge wechselnde schwarzweißfotos. ich weiß nicht, was die mir sagen wollen, ich weiß nicht, ob sie redaktionell eingesetzt wurden oder teil der sparkassen-werbung sind. wenn man mit dem mauszeiger über diese leiste fährt (ohne zu klicken), verbreitert sie sich richtung bildmitte. um diese weitere störung beim betrachten der webseite zu umgehen, muss man mit der maus umwege machen, also zum beispiel von oben rechts vertikal nach unten, dann einen weiten bogen nach links und wieder hoch zum text fahren. webseiten, die dem besucher solche widerspenstigkeiten aufnötigen, gelten als schwer defizitär.

die bildmitte, die eigentlich für den inhalt frei sein sollte, ist mit einer langen kolonne untereinander positionierten werbungen bestückt, vorwiegend eigenwerbung.

interessanter nebeneffekt, der viele zeitungsauftritte online betrifft: werbung wird heutzutage negativ konnotiert, das inhaltsverzeichnis aber positiv. wie unterschiedet sich das eine vom anderen? hier jedenfalls unterscheidet es sich nicht: das inhaltsverzeichnis tarnt sich als eigenwerbung. das nennt man: der schuss geht nach hinten los.

im screenshot oben sieht man in der unteren bildmitte schmal das wort “Anzeige”. etwas nach unten gescrollt, sieht diese zwischen die eigenwerbung platzierte fremdwerbung so aus:

cicero_webseiten_probleme_werbung werbung im mittleren bildbereich, originalgröße, rechte maustaste: adspirit.de

wofür auch immer diese anzeige wirbt (ein buch, ein hörbuch, ein video, eine webseite?), die rechte maustaste verrät es nicht, sondern sie verrät: “Powered by AdSpirit.de Version 12.1”, und sie ist mit adobe flash programmiert, einer veralteten, auf iOS-geräten längst nicht mehr sichtbaren technologie für bewegtbild. adspirit ist eine in berlin beheimatete firma, die nichts böses macht, aber für alle lästig ist, weil sie nämlich gegen geld die auslieferung von werbung auf den seiten der kunden (hier: cicero) misst und verwaltet.

diese “messung und verwaltung” ist ein kapital der entfremdung. es erzeugt eine binnenwährung, die zum dem werbekunden (hier: weltkrieg wasauchimmer) vorrechnet: bei cicero kostet die werbung so und so viel. je mehr besucher hierher kommen, da oder dort klicken, so viele sekunden verweilen und dann wohin gehen, desto teurer. sollen verlag und adspirit das doch bitte hinter den kulissen verhandeln; ich als besucher der seite möchte all das nicht sehen.

adspirit gehört zur online-werbebranche (ich nenne sie gern “google-sklaven”), präsentiert sich aber auf seiner eigenen webseite mit einem etwas platteren als dem in der werbebranche üblichen blaba. der text klingt eher nach staubsaugervertreter von 1959, mit vokabluar von 2009 (also nicht uninteressant für eine kulturzeitschrift):

… ist ein AdServing-System, ein professioneller Adserver … flexibel … ermöglicht sehr effizientes AdManagement … speziell für die Bedürfnisse von Publishern & Verlagen, Onlinevermarktern & Networks sowie Advertisern & Agenturen konzipiert … Platzierung von Onlinewerbung. Kampagnen … einfach gebucht, automatisch ausgeliefert und vom System optimiert werden … alle modernen Werbemittelformate nutzen, völlig egal, ob es sich um Banner (GIF, JPG, Flash), HTML-Werbemittel (inklusive IFrames, Fremdscripts), Popup/Popunder, Layer, Video-Ads oder diverse Sonderwerbeformen handelt … Displayadvertising, Mobile, Video, SEM, Newsletter oder Affiliate – sämtliche Arten von Kampagnen …

wenig später, als hätte mein browser meine gedanken gelesen, sah ich anstelle der weltkriegs-werbung das:

flash-has-crashedflash abgestürzt, werbung nicht mehr zu sehen

nur 3% der seite sind der text, um den es geht.

die rechte maustaste (die ja leider auf iPads & co. nicht geht) ist ein privileg des PCs. bei den meisten browsern kann man über die rechte maustaste einzelne “elemente untersuchen” oder sich den “quelltext der seite” anzeigen lassen. letzterer ist erstaunlich lang für eine seite, die eigentlich nur ein paar zeilen feuilletontext featuren soll, nämlich die kolumne von amelie: 1336 zeilen! diese 1336 Zeilen quellcode enthalten die html-befehle für die seite, also was die seite zeigt und wie sie auf maus- und klicktätigkeiten des besuchers reagiert. vieles davon ist selbstreferenziell: so kommt allein der begriff des “rasens” aus amelies text 39 mal vor, meist in form von links. der werbepusher adspirit treibt sich querbeet im quellcode herum. und wenn ich die Anschläge zusammenrechne: von den insgesamt 70.000 zeichen im quellcode nimmt amelies eigentlicher text nur 2.100 zeichen ein. das sind 3%.

cicero_quelltextder quellcode der webseite enthält 30.000 zeichen. hier markiert der reine text von amelie (2.100 zeichen, 3%)

warum der quellcode abfragt, wohin der besucher geht, was er während des seitenbesuchs herunterlädt etc. ist auch interessant. angeblich dient das der statistik-krake von google, googleanalytics, zu untersuchen, ob der anwender bösartige dateien herunterlädt oder zum beispiel einem torrent-link (tauschbörse) folgt.

unterm strich: amelies text, wegen dem ich auf die seite kam, nimmt in dieser ansicht etwa 10% der webseite ein. selbst wenn man sich nicht weiter von den fehlfarben und dem flash-gezapple stören lässt, blockiert einem der untere balken (eigenwerbung für ein test-abo, rundes signet in rot) für immer die sicht; er verschwindet, fett und breit wie er ist, beim scrollen nach unten nicht.

heute lese ich nicht weiter, sorry cicero.


ps. wer sich das antun will, → hier ist der link zu der oben besprochenen webseite