lieber (?) | hörer

Werbung_Funk-Stunde-1926_2

werbung der berliner funk-stunde vom 26.2.1926

bei uns im rundfunk gibt es (wie in zeitungen und im TV) zwei fraktionen: die einen schätzen den hörer/leser/zuschauer als kreativen kritiker und damit mitgestalter des programms. die anderen tun so, als schätzten sie den hörer, können ihn aber zutiefst nicht leiden, weil sie sein ewiges nörgeln satt haben.

als der rundfunk anfing, gab es nur die erste fraktion, denn es fehlten den redaktionen die hörer. die 1926er werbung des vorvorvorvorvorgängers des RBB im bild oben zeigt auch zwei frühe formen von smileys, beide mit kopfhörer.

das ist eins von mehreren ausschnitten aus derselben funkzeitung, nämlich Der deutsche Rundfunk. Rundschau und Programm für alle Funkteilnehmer von vor genau 90 jahren, die eine befreundete kollegin für mich gemacht hat, als sie in ihrem archiv unterwegs war.

 

Werbung_Funk-Stunde-1926

werbung für neue hörer

Programm_Berlin_26_02_26

programm der berliner funk-stunde vor genau 90 jahren

Programm München 26_02_26

programm münchen vor genau 90 jahren

Programm_London_26_02_26

englische sender vor genau 90 jahren

am anfang war die | langeweile

langeWeileImRundfunk

in einem text von 1930 in der zeitschrift der querschnitt schreibt ein 34jähriger mann eine fundamentalkritik am rundfunk. er nennt beispiele wie das requiem von bertolt brecht, die sich den möglichkeiten des rundfunks gut “angepasst” hätten. aber ein eigenes genre – “Eigenkunstwerk” – hätten die sender auch nach 6 jahren noch nicht hervorgebracht. der “rein akustische Film”weekend von walter ruttmann aus dem jahr 1929 sei immerhin “ein kühner Versuch” gewesen.

“Im Anfang des Rundfunks war die Langeweile. […] Entsetzliche Dinge wurden damals getrieben. Das Musikprogramm wurde aus vermoderten Konzersälen bezogen, Literatur aus der ‘Gartenlaufbe’, der Vortragsteil legte Wert auf die Sitten und Gebräuche der Minnesänger (unter dem Titel ‘Volksbildung’), Legionen Gurken wurden eingelegt (‘Für die Hausfrau’)”

das habe sich gebessert, aber sei noch weit von allem entfernt, was er, der autor sich vorstelle.

wer traute sich so zu schreiben?

hans flesch, ein mediziner aus frankfurt, der ziemlich jung und frech den → ersten hessischen sender aufmischte, dann als intendant nach berlin wechselte, wo der sender “funk-stunde berlin AG” hieß. flesch war nicht nur radikaldemokratisch im umgang mit seinen autoren (brecht, benjamin, adorno) und komponisten (hindemith, sein schwager), sondern suchte besessen nach rundfunk-eigenen ausdrucksformen. seine kritik in der zeitschrift ist also auch eine selbstkritik.

RundfunkpioniereVorNazischergen

rundfunkpioniere in untersuchungshaft, 1933. foto: bundesarchiv

die steile karriere endete abrupt, als die nazis im januar 1933 die macht ergriffen. die liberalen rundfunkpioniere wurden im laufe des frühjahrs und sommers der reihe nach verhaftet. das foto oben aus dem bundesbildarchiv zeigt flesch als zweiten von rechts, neben kurt magnus im KZ oranienburg. ihm und den anderen wurde der prozess gemacht, jedoch ohne signifikante strafen. als halbjude überlebte flesch den nationalsozialismus nur, weil seine frau arbeiten durfte. am ende des kriegs meldete er sich freiwillig als arzt an die front, baute lazarette auf – und gilt seit april 1945 als verschollen. die amerikaner hätten ihn gern als ersten intendanten des RIAS eingesetzt, aber flesch war wohl längst tot.

tja, und → walter ruttmann, den flesch so lobt, weil er das tonkino gemacht hat, später hörspiel genannt? ruttmann arrangierte sich nicht nur mit den nazis, er produzierte für die UFA NS-filme. mit seinen ästhetischen vorstellungen war er leni riefenstahl ein vorbild. er wurde ihr berater in mehreren blut & boden-filmen. das hätte auch so weiter gehen können, wäre ruttmann nicht 1941 an einer embolie gestorben.

rundfunkgymnastik | 1931

UHU_rundfunkgymnastik-1932

 

die aufnahme aus dem jahr 1931 in der ausgabe des uhu vom januar 1933 zeigt eine dahinschmelzende junge frau und handelt vorgeblich von der gymnasik zu den entsprechenden rundfunksendungen, die es noch bis in die 1990er jahre gab. der berliner fotograf friedrich seidenstücker wurde rückblickend bekannt durch seine fotos vom kriegszerstörten berlin. hier lässt er sich aus über ähnlichkeiten zwischen mensch und tier. die vergleiche sind so plump, dass ich sie mir hier abzubilden erspare.

was man gut erkennt, ist die kompaktheit des radiogeräts. rundfunk gab es damals 7 jahre in deutschland, und anfangs bestanden die geräte aus einer nur für bastler zu bändigenden einstellelektrik mit frei liegenden röhren und empfangskristall.

heute “liest” man dieses bild anders als damals. wir sehen eine leiche. womit das nur zusammenhängt? …

zur zeitschrift uhr siehe auch und und und und

rundfunkhymne | 1933

Aus der Unendlichkeit des Himmels empfängt die Antenne alles, was singt und klingt, jubelt und kreischt;

aber man vergesse nicht, die Antenne zu erden.”

dasOhrDerWelt_1933zeitschrift “das magazin“, oktober 1933

neben dem sich selbst (mit dem antennensatz) ironisierenden pathos (weltgebäude, unendlichkeit) fällt an dem artikel auf, dass er keinerlei anspielungen auf den nationalsozialismus zeigt. das mag mit dem herausgeber franz wolfgang koebner, einem juden, zusammenhängen, oder/und damit, dass “szene”zeitschriften wie diese dem goebbels-propagandaministerium erst 1934 auffielen.

dasMagazin_oktober1033

hier die ausgabe, in der der artikel erschienen ist. die zeitschrift findet sich, bis 1933 komplett digitalisiert, bei der → illustrierten presse der universität erfurt zusammen mit der sächsischen landesbibliothek dresden. siehe auch → hier bei mir.

kleine geschichte des funklochs | swr2

West_german_tv_penetration_de.svgzwei riesige funklöcher, wo zu DDR-zeiten das westfernsehen nicht hinreichte.

hatte es schon fast vergessen, aber die google-suche erinnerte mich: auf swr2 lief in der sonntagssendung matinée mein “minifeature” über das funkloch. → hier nachzuhören. mein protagonist, den ich dafür interviewt habe, ist der in berlin an der humboldt-universität (lehrstuhl medientheorie) arbeitende jan claas van treeck. es war sein erstes rundfunkinterview, und er hat sich gut geschlagen. seine funklochexpertise stammt aus seinem USA-aufenthalt, wo er die absolut rundfunk- und handyfreie zone kennenlernte.

selbstverständlich darf bei der erörterung des funklochs das tal der ahnungslosen nicht fehlen, → hier der link zum gleichnamigen wikipediaartikel.

Radio-Web 1928 | wie recheriert man sowas?

Die_Sendung_Nov1928_Titelblatt“Die Sendung / Rundfunkwoche” vom november 1928

in dieser letzte woche ersteigerte ich für 1 € diese rundfunkzeitschrift von 1928. sie wurde vom verlag hermann reckendorf, berlin, herausgegeben und war eine der ersten deutschen rundfunkzeitschriften überhaupt, vielleicht sogar die erste. hermann reckendorf geriet nicht nur als jude, sondern auch als verlagschef für progressive zeitschriften mit den nazis in konflikt. sie enteigneten ihn bereits 1933; im selben jahr, wahrscheinlicher aber 1936 nahm sich reckendorf das leben.

in dieser ausgabe, die eher zufällig zu mir (und dadurch jetzt in die wiki commons und dadurch in die wikipedia) kam, gibt es eine werbeanzeige der firma RADIO-WEB. erstaunlicher name! die firma bot alles ums neue medium radio herum an, von katalogen über lehrbücher bis zum kostenlosen aufladen des radio-akkus – denn das ans stromnetz angeschlossene rundfunkgerät kam erst in den 1930er jahren auf. hier die werbung:

Radio-Web_1928“Radio-Web” 65 jahre vor dem world wide web

was hatte es damit auf sich? in der anzeige ist die postadresse zu lesen: WEB-Haus, Berlin S42 [also Kreuzberg], Prinzessinnenstr. 16. bei der bildersuche nach dieser adresse findet man nur neue, nach dem krieg gebaute häuser, nichts deutet auf ein web-haus hin. die web-suche nach “radio-web” bringt auch nichts: vor allem kaufangebote für internetradios und tausendfach “web 2.0”. eine suche angesichts eines so prominenten worts (web) ist ähnlich kompliziert wie die nach einem stefan schmidt oder peter brook.

in solchen fällen lohnt sich die suche in den digitalen bibliotheken, zu allererst also bei google books. dort findet man unter der postadresse zwar kein “web-haus”, aber immerhin kein world wide web, sondern den ein oder anderen handwerklichen betrieb, zum beispiel einen, der pharmazeutische geräte herstellte. gibt man in google books wörtlich ein: “berlin radio-web”, so kommt zuerst ein fachbuch über alfred döblins (auch ein jude, der 1933 mit den nazis schwierigkeiten bekam und auswanderte) roman “berlin alexanderplatz“. die autorin, anke detken (heute → literaturprofessorin in göttingen) merkt an, dass einige namen von berliner lokalitäten in der französischen übersetzung des buchs weggelassen wurden, unter anderem die erwähnung des “web-hauses”:

berlin-alexanderplatz-radio-web-hausanke detken: döblins berlin alexander platz übersetzt. palaestra, band 299

in der online lesbaren “fischer klassik plus”-ausgabe von döblins roman findet sich genau diese stelle:

“Gegenüber am Häuschen von Radio Web – bis auf weiteres laden wir einen Akku gratis – steht ein blasses Fräulein …”

in anderen büchern über döblins alexanderplatz werden die derlei lokalitäten näher untersucht; dabei kommt heraus, dass radio-web eine gmbh war. an anderer stelle lese ich, dass es möglicherweise fachliteratur aus diesem radio-web-häuschen gab:

büscher-1938den “H. Büscher” kann ich nirgends finden. führt jetzt auch zu weit…

zurück zur zeitschrift. sie verstand, für die zeit ganz typisch, unter dem rundfunkhörer den radiobastler. menschen ohne technik-affinität konnten sich für den rundfunk 1928 noch nicht so richtig erwärmen.

die-sendung - november 1928 - seite-604“die sendung”, s. 604: schaltpläne für den radiobetrieb

 

der radio-händler | 1936

der radio-händler - august 1936titelblatt der ausgabe vom august 1936

typische recherche:

  • ich gucke die ebay-rubrik mit antiquarischen zeitschriften durch, gebe das stichwort “rundfunk” ein und finde unter anderem den “radio-händler”, diverse ausgaben von 1933–1938, von privat zu verkaufen.
  • um mir ein solches heft mal anzugucken, biete ich 2 €, werde sofort überboten, biete 3,52 €. paar tage später geht die auktion zu ende, in den letzten sekunden schaukelt sich der preis hoch zu 28 €. dasselbe spiel mit weiteren ausgaben.
  • ich frage eine nette kollegin im deutschen rundfunkarchiv, ob ihr eine zeitschrift dieses namens schon untergekommen ist, denn das DRA ist reich bestückt, auch mit rundfunkliteratur. die antwort: nein, haben wir leider nicht.
  • dann befrage ich mal die deutsche nationalbibliothek und die zeitschriftendatenbank. in der DNB werde ich nicht fündig, in der ZDB aber schon: Der Radio-Händler : Fachblatt für d. Handel mit Radioartikeln ; Rundschau über d. gesamte Radiotechnik. – Berlin   [1.]1923 – [4.]1926; 5.1927 – 15.1938. erhältlich in bibliotheken in münchen, berlin, leipzig und köln. in köln sogar an drei orten, unter anderem in der universitätsbibliothek. dort finden sich einige jahrgänge aus den 1930er jahren, also auch die, die bei ebay pro exemplar für über 20 € versteigert werden.
  • ich schwinge mich aufs rad, fahre zur kölner unibib und nehme mir die ersten beiden hefte des 1936er-stapels vor. zwei hefte, eine stunde staunen. das kann ja heiter werden…

der-radiohändler-1936

rundfunkgeschichte | bbc hand book 1929

gestern einige wikipediaeinträge mithilfe des bbc hand books 1929 geschrieben. das hand book ist ein wunderbarer reader für frühe, aber nicht ganz frühe rundfunktechnik und -ästhetik.

bbc hand-book 1929

Fernsehgottesdienste gehen auf Rundfunkübertragungen von Gottesdiensten zurück. Mit diesen hatte die BBC bereits wenige Jahre nach dem Start des Rundfunks 1923 reichlich Erfahrung. Das BBC Hand Book von 1929 widmet den „Broadcasts from Cathedrals“ (Übertragungen aus großen Kirchen) ein eigenes Kapitel, wo unter anderem die Mikrofonierung beschrieben wird:

„Die Hörer der Sendungen aus der Kathedrale von Canterbury haben sicher die vielen Schwierigkeiten kaum wahrgenommen, die wir mit ungünstigem Resonanzhall seit der ersten Übertragung hatten. Heute ist die Balance zwischen Orgel und Chor praktisch perfekt, aber es steckte dahinter erhebliches Experimentieren. Normalerweise sind vier Mikrofone im Einsatz. Eine feste Verkabelung besteht nur zur Kanzel; die anderen richten sich nach den jeweilig aktuellen Gegebenheiten.“

1923 startete der Rundfunk. Die Rundfunkanstalten trennten schon wenig später den Kontrollraum vom Aufnahmeraum ab. Zuvor standen Schauspieler und Techniker in einem Raum um das Mikrofon herum. 1929 spricht die BBC in ihrem Hand Book erstmals von „‚Mixing‘ Studios“ und erklärt den noch in Anführungszeichen gesetzten Begriff so: In längeren Rundfunkproduktionen wie zum Beispiel Hörspielen, die damals live aufgeführt wurden, gab es zwei Typen von Klangquellen – die Sprechstimmen und die Geräusche. Ursprünglich waren beide in einem Raum untergebracht, aber die Hörer beschwerten sich, bei lauten Effektgeräuschen der Erzählung nicht mehr folgen zu können. Als Konsequenz lagerte der Londoner Sender die „Noise Effects“ (Gewitter durch große Metallfolien, Pferdegalopp durch Stein auf Stein usw.) in einen gesonderten Raum aus; die Effektemacher hörten über Kopfhörer mit, was im Sprecherraum geschah.

„Die Klänge beider Studios wurden über Leitungen an ein zentrales Schaltpult übermittelt, das der leitende Produzent bediente. Dieser war dadurch in der Lage, die beiden Tonquellen in den exakt benötigten Mengen zu ‚mischen‘.“

Das Konzept war so erfolgreich, dass der Sender große Produktionen Ende der 1920er Jahre mit mehr als drei Studios fuhr. In einem saß ein Orchester, in einem anderen eine Band; auch die Schauspieler wurden in Gruppen getrennt, um verschiedene Akustiken herzustellen. Das Mischpult hieß damals noch „Switchboard“, also Schaltpult.

Als um 1930 das Schneiden von Schallplatten Standardtechnik zum Konservieren von Klängen in guter Qualität war, schossen Plattenfirmen und damit zusammenhängend Musikstudios aus dem Boden

1923 startete der Rundfunk. Bühnenschauspieler und Kabarettisten, die nun im Radio auftraten, fanden das Mikrofon irritierend. Zu einem Mikrofon, statt zu einem Publikum zu sprechen, war gewöhnungsbedürftig; außerdem waren Mikrofone in den späten 1920er Jahren bereits so empfindlich, dass man nicht mehr in sie hineinschreien musste. Das BBC Hand Book von 1929 widmet dem Mikrofon ein eigenes Kapitel mit der Überschrift „My Friend Mike“ (Mike als englische Kurzform für Mikrofon):

„Ich kenne Mike schon lange. Erstmals bin ich ihm 1922 begegnet. Er hatte damals noch keinen Thron, sondern hing so herum. Ich glaube, er ist sehr empfindlich, denn man wickelt ihn in Baumwolltücher. Ich mag Mike, weil er immer so gut von mir spricht und nie krank ist und mich Menschen vorstellt, die ich ohne ihn nie kennengelernt hätte.“

multimedia, virtual reality, immersion à la 1926

Ludwig Kapeller 1957 - Foto Fritz Eschendas ist ludwig kapeller, fotografiert 1957 von fritz eschen, gefunden bei der deutschen digitalen bibliothek www.ddb.de; die bilddatei liegt bei der deutschen fotothek [Datensatz-Nr.: obj 70243499] der besuch bei www.deutschefotothek.de in dresden lohnt sich.

aber ich wollte von ludwig kapeller erzählen, über den ich wenig weiß; er muss ein sehr junger autor gewesen sein, als er (siehe unten) im UHU-magazin 1926 eine vision von multimedialität, virtual reality und immersion zeichnete, die für eine sehr scharfe beobachtungsgabe sprach. von kapeller ist wenig biografisches bekannt; er war unter anderem schriftleiter in der rundfunkzeitschrift der nazis Der Rundfunk und konnte deswegen nach dem zweiten weltkrieg nicht die steile karriere, zum beispiel bei axel springer, verfolgen, wie er es wünschte. kapeller hat romane geschrieben, vor allem aber in seinen frühen jahren sachtexte über das neue medium rundfunk.

„Der Rundfunk von morgen: ein Druck auf den Knopf, und rauschender Schall, mit Tiefen und Perspektiven; und noch ein Druck: bewegtes Bild, Ton und Klang illustrierend, eine Drehung am Hebel, und England kommt, Boxkampf in London, mit Fäustekrachen und Schmerzensstöhnen, mit den raschen Gesten der Kämpfer; oder Amerika meldet sich, mit Jazz-Band-Synkopen und den schwarzen Gesichtern der ‚Chocolate-Kiddies‘; oder Rom mit Verdiklängen, mit den bunten Bildern italienischer Opern. Oder plötzlich, unheimlich, erleben wir gräßlich im ‚505‘, von meerumpeitschender Rundfunk-Regie irgendwo inszeniert, mit Sirenengeheul und Wogenprall, mit Verzweiflungsschreien, einen Untergang der ‚Titanic‘, nächtliches Bild menschlichen Todeskampfes. Und übermorgen vielleicht: der plastische, farbige, sprechende Rundfunk-Film, Erlebnis mit allen Sinnen erfassend und durch die Technik meistern, daß durch den Druck auf schwarzen Knopf Millionen Erlebenshungriger es sich enthülle.“

Ludwig Kapeller: Rundfunk von morgen, in Uhu, Ullstein Berlin Oktober 1926, S. 70

programmzeitschriften im jahr 1932

gerade im rundfunk jahrbuch 1933 gefunden und in den wikipedia-artikel über die geschichte des hörfunks in deutschland reingeschrieben.

funkstunde-und-werag_1932

Die regionalen deutschen Sender veröffentlichten regelmäßig Programmhefte für im Jahr 1932 den Preis von zwischen 25 und 90 Pfennigen pro Monat:

  • ”Funkstunde”, das offizielle Berliner Programmblatt, Verlag Funk-Dienst Berlin
  • ”WERAG”, das Ansageblatt des Westdeutschen Rundfunks, Rufu-Verlag Köln
  • ”Mirag”, die offizielle Programmzeitung des Groß-Senders Leipzig, Mirag-Verlag Leipzig
  • ”NORAG”, für den norddeutschen Sendebezirk, Rufu-Verlag Hamburg
  • ”Bayerische Radio-Zeitung”, für Bayern und Pfalz, G. Franz’sche Buchdruckerei München
  • ”S.R.Z.”, Südwestdeutsche Rundfunkzeitung, Südwestdeutscher Funk-Verlag Frankfurt
  • ”Königsberger u. Danziger Rundfunk Illustrierte”, für ganz Ostpreußen, Verlag Königsberger und Danziger Rundfunk Königsberg
  • ”Schlesische Funkstunde”, offizielles Organ der Sender Breslau und Gleiwitz, Schlesischer Funkverlag Breslau
  • ”Südfunk mit Süddeutscher Radio-Zeitung”, für Württemberg und Baden, Verlag Tagblatt Stuttgart

besuch im kommunikationsmuseumsdepot

südlich von offenbach ist ein kleines städtchen namens heusenstamm. dort befindet sich das depot, also das archiv des museums für kommunikation frankfurt/m. ich war jetzt zum zweiten mal da und bin gern dort. diesmal wies mich die dortige expertin für die geschichte der nachrichtentechnik lioba nägele auf ein paar bücher hin, die ich ausleihen konnte und jetzt anfange zu erschließen. eins davon fand ich selbst in der bibliothek, es war offenbar gerade aus einem sammlerkonvolut hereingebracht worden, das Rundfunk Jahrbuch 1933.

RundfunkJahrbuch_1933

das buch ist aus mehreren gründen spannend, unter anderem deswegen, weil es 1932 geschrieben und vermutlich ende 1932/anfang 1933 veröffentlicht wurde, als die nazis noch nicht vollständig an der macht waren. das buch ist stellenweise hochpolitisch, was ich jetzt in den wikipediaartikel über den damaligen, tiefbraunen reichsinnnenminister schrieb. hier einige der für die wikipedia entstandenen texte:

Artikel: Geschichte des Hörfunks in Deutschland

Die Vorläufer des Rundfunks in Deutschland waren der „Presserundfunk“ und der „Wirtschaftsrundspruch“, betrieben von der Eildienst G.m.b.H, mit einer überschaubaren Menge gut zahlender professioneller Empfänger, die vom Sender in Königs Wusterhausen über das ganze Reichsgebiet hinweg mit Nachrichten versorgt wurden. Der Wirtschaftsrundspruch startete 1922 mit 762 Empfangsstellen an 255 Orten (Abonnenten) und war ein Erfolg: Zwei Jahre später gab es 1181 Empfangsstellen an 513 Orten. Die Reichspost experimentierte von 1920 bis 1922 mit einem „Rundfunkempfangsnetz“. 1922 gab es 76 dafür geeignete Empfangsanlagen.

 

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Schon die letzte Reichsregierung der Weimarer Republik bereitete eine staatsnahe Rundfunkdoktrin vor. Reichsinnenminister Wilhelm von Gayl verkündete im Juni 1932 in der Rundfunksendung „Stunde der Reichsregierung“ diese Forderung an die Rundfunktreibenden:
„Die Reichsregierung legt Wert drauf, ihre Absichten und Handlungen dem deutschen Volke durch Benutzung der neuzeitlichen Einrichtung des Rundfunks unmittelbar mitzuteilen. Wir fühlen uns verpflichtet, uns auch an die Millionen deutscher Menschen zu wenden, die den Rundfunk in allen Teilen unseres Vaterlandes hören. Wir werden hinfort durch den Rundfunk unmittelbar zum deutschen Volke sprechen, damit es weiß, woran es ist, und weil es ein Recht hat, uns zu hören!“

 

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Artikel: Westdeutscher Rundfunk, Vorläufer ab 1924

 

Zwischen Oktober 1923 und September 1924 war das deutsche Reichsgebiet fast vollständig mit einem Netz an Rundfunksendern überzogen. In den nach dem Ersten Weltkrieg von alliierten Truppen besetzten Gebieten von Rhein und Ruhr wurde der Bau deutschsprachiger Sender untersagt. Deswegen richtete man im nicht besetzten Münster etwas verspätet den ersten Sender fürs Ruhrgebiet ein. Dazu begann man am 17. Juli 1924 mit den ersten Versuchen mit einem Lorenz-Sender, gründete am 15. September die „Westdeutsche Funkstunde AG“ (WEFAG), die am 10. Oktober ihren offiziellen Betrieb aufnahm und Hörfunksendungen unter der Kennung „Münster I“ ausstrahlte. Die Wellenlänge von 410 m ermöglichte eine unerwartet hohe Reichweite. Die Funkstunde leitete Hermann Krome, anfangs mit einem Vier-Mann-Orchester und einigen Schallplatten. Bei Sendebeginn hatte der Vorläufer des WDR 6114 angemeldete Hörer, einen Monat später bereits 9099. Als im Sommer 1925 die Besetzung des Ruhrgebiets endete, erwarben Tausende dort lebender „Schwarzhörer“ Rundfunklizenzen; die Menge der offiziellen Radiohörer stieg 1925 von 13.950 auf 83.400, also etwa auf das Achtfache. Am 21. Juli 1925 fand am Dortmund-Ems-Kanal bei Münster vermutlich die erste Sportübertragung im deutschen Rundfunk statt, bei der der Reporter nicht im Sender, sondern am Mikrofon vor Ort stand. Das Rundfunk Jahrbuch 1933 beschreibt es als die

 

„…erstmaligen Versuche, das Mikrophon aus dem engen Senderaum herauszuholen und mitten in das Leben zu stellen, […] um nach einem sorgfältig vorher aufgestellten Plan den Betrieb eines Ruderrennens zum Erstaunen der Hörer weiterzugeben. Heute können wir uns die damalige Begeisterung über das außerordentliche Neue kaum noch vorstellen, und nur die wenigsten der damaligen Hörer werden sich im Augenblick bewußt geworden sein, daß dies der Ausgangspunkt des heute so wichtigen Zeitfunks geworden ist.“
Der Erfolg zwang die Westdeutsche Funk-Stunde AG zu einer Ausdehnung nach Westen und zur Eröffnung zweier „Nebensender“ am 18. und 19. September 1925 in Dortmund und Elberfeld (heute zu Wuppertal). Ende 1926 zog die WEFAG nach Köln um und hieß fortan „Westdeutsche Rundfunk AG“ (WERAG). Das neu erbaute Funkhaus befand sich in der Dagobertstraße 38 und war über die Fernsprechnummern 5536 und 5537 zu erreichen.

 

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Artikel: Rundfunkgebühr, Frühgeschichte

 

Rundfunkgenehmigung 1932
Am Ende der Weimarer Republik bestand die Rundfunkgenehmigung aus einem sehr feinen Geflecht von „Hörerrechten und -pflichten“. Das von der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft herausgegebene Rundfunk Jahrbuch 1933 vergleicht die Gebühr von damals 2 Mark monatlich mit dem Waffen- oder Jagdschein, bei dem man das Recht erwirbt, etwas tun dürfen, keinesfalls aber ein Vertragsverhältnis über ein zu lieferndes Produkt eingeht. Der Eigenbau von Rundfunkgeräten bedurfte keiner Genehmigung, jede Antenne aber kostete ihre Jahresgebühr. Körperbehinderte und „wohlfahrtsunterstützte“ (also arbeitslose und verarmte) Menschen bekamen die Gebühr erlassen. Unternehmen und größere Hausgemeinschaften mit Untermietern, Hotels etc. bekamen Rabatte. Untersagt war das Verkabeln einer lizenzierten Anlage mit einer nicht lizenzierten in einem anderen Raum. Der zahlende Rundfunkhörer durfte sein Gerät bewegen und seine Antennen frei aufstellen, zum Beispiel auf am Dach, und vor Gericht bekamen in der Regel die protestierenden Hausbesitzer nicht Recht. Wer seine Rundfunkempfangsanlage mit auf Reisen nahm, um sie etwa am Urlaubsort zu betreiben, musste sein Genehmigungsschreiben mit sich führen, um es gegebenenfalls vorzulegen.

 

1932 stand es dem Hörer frei, was die Nationalsozialisten wenig später unter Todesstrafe stellten, auch ausländische Sender und Versuchssender zu empfangen. Wenn er jedoch beim Wählen der Frequenz auf nicht für die Allgemeinheit bestimmte Funknachrichtendienste des Hochsee-, Presse-, Sport- und Wirtschaftsfunks stieß, durften diese „weder niedergeschrieben, noch anderen mitgeteilt, noch gewerbsmäßig verwertet werden.“ Diese kommerziellen Übertragungen für spezielle Abonnenten waren technikhistorisch Vorläufer des öffentlichen Rundfunks, medienhistorisch Vorläufer der Nachrichtenagenturen und wurden später durch Telex abgelöst.

 

Wer wochenlang kein Radio hörte, musste trotzdem zahlen; beim Außerbetriebnehmen der Anlage konnte monatlich gekündigt werden, jeweils bis zum 16. des Monats bei seinem Postamt. Auch über die Lautstärke der Rundfunkwiedergabe wird in den Bestimmungen zur Rundfunkgenehmigung thematisiert. Bei offenem Fenster war geringe Lautstärke angeraten. Urteile wegen Ruhestörung durch „Lautsprecherlärm“ waren 1932 keine Seltenheit. Wer sich nachhaltige gestört fühlt, konnte auf Unterlassung klagen, wobei die Unterlassung sich auf die Lautstärke oder die Betriebsdauer bezog.

 

Für Störungen des Rundfunkempfangs übernahm die Reichspost keine Gewährleistung und verwies auf die Rundfunkgesellschaften, die verpflichtet seien, einen ordentlichen Betrieb zu sichern. Wenn allerdings eine neue Störquelle in der Nachbarschaft auftauchte, etwa durch „Polwechsler, Maschinen, Selbstanschlußämter“, konnte man die „Funkhilfe“ anrufen, und Ingenieure der Post kümmerten sich um das Problem. Umgekehrt musste der Gebührenzahler sicher stellen, dass seine (noch nicht durchgehend standardisierten) Anlage nicht andere störte, etwa den Betrieb von Fernsprechanlagen.