guan | Xi

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guan Xi in der chinesischen wikipedia

ich hatte am sonntag eine bemerkenswerte begegung mit einem an der university of westminster arbeitenden chinesischen wissenschaftler. er hielt eine von drei keynote-reden auf der konferenz für informations- und wissensmanagement in london. bemerkenswert war zunächst, dass er bei seiner rede in schwer verständlichem, sehr schnell gesprochenem englisch mit starkem mandarin-akzent nach dem abfeuern einiger slides meinte, jetzt habe er keine slides mehr, könne aber seine arbeiten zeigen. dazu öffnete er umständlich ein pdf nach dem anderen und scrollte die dokumente seiner letzten veröffentlichungen rasant von oben nach unten durch. nichts davon war für das publikum lesbar, geschweige denn nachvollziehbar.

das zweite bemerkenswerte waren die inhalte seiner so lieblos präsentierten arbeiten. sie bestanden, soweit ich das in dieser halben stunde der beamer-folter beurteilen konnte, aus einer reinen ansammlung von buzz-words wie “maschine learning”, “agent systems”, “fuzzy logic”. statt zu sagen, wie er daten aus sozialen netzen im internet ziehen möchte, blieb er immer auf der ebene eben dieser buzzwords. nach gängigen konferenzregeln war das eine unverschämtheit. er bekam trotzdem, vor allem von den vielen asiaten im raum, applaus.

einige stunden später interviewte ich ihn → für den deutschlandfunk. er wusste schon tage vorher, dass ich kommen würde, und er wusste, dass ich der einzige journalist auf der tagung war. er wirkte nicht aufgeregt, aber in hohem erregungszustand, als ich mein mikrofon anschaltete. bevor ich aufnahm, entspann sich ein kurzer, heftiger dialog, in dem ich mich bewusst nicht auf das chinesische guan Xi einließ, also die art, mit kleinen geschenken freundschaften zu knüpfen:

ob er mir einen kaffee holen dürfe? fragte der wissenschaftler.

– nein danke, es war doch gerade kaffeepause.

– vielleicht einen tee?

– wozu einen tee, es war doch gerade kaffeepause?

– tee beruhigt.

– nein, danke. aber sagen Sie mal, wirke ich aufgeregt, dass ich einen tee brauche, der mich beruhigt?

– nein, Sie wirken ganz ruhig.

– wozu sollte ich dann einen tee trinken? wollen Sie vielleicht einen tee trinken?

– i’m fine, thank you.

er war etwas ratlos und griff dann in seine aktentasche, holte einen kuli heraus, auf dem “university of westminster” stand, und überreichte ihn mir mit einer größeren geste.

– university of westminster! sagte er.

ich dankte und steckte ihn ein. dieser erbärmliche stift war vermutlich der einzige weg, dass der arme mann aus dem geschenkzwang herauskam und dem guan Xi folgte.

auch das kurze interview selbst war ein ost-west-disaster. statt auf meine fragen zu antworten, proklamierte er lauthals. wenn ich ihm ins wort fiel und ihn bat, einen ausdruck zu wiederholen, weil ich ihn nicht verstanden hatte (sein englisch mit starkem mandarin-akzent war rasant schnell, business management klang wie büsche cent oder psi magent), wiederholte er den ausdruck mit derselben intonation und geschwindigkeit, statt zum beispiel zu verlangsamen oder mich zu fragen, was ich daran nicht verstünde.

als er zum x-ten mal “fuzzy logic” sagte, merkte ich an, das sei doch schnee von gestern, was er denn für neue ansätze zu bieten hätte, antwortete er, die systeme müssten (und jetzt komme noch ein buzzword:) hybrid sein, also fuzzy logic und agentensysteme und ähnliches.

er sprach, ohne dass ich ihn danach gefragt hatte, von firmen, die versuchen, eine marke über soziale medien bekannt zu machen:

– das kann über nacht scheitern, wenn die kommentare negativ sind.

– klar, sagte ich, was schlagen Sie also vor, wie soll eine firma vorgehen, damit das nicht passiert?

– sie muss die marke viral machen.

– wie soll das gehen, was kann man da empfehlen?

– bessere produktqualität, besserer service.

das war so trival und führte leider zu nichts. als wir uns verabschiedeten, verbeugte er sich mehrmals tief, und als ich ihm später paarmal über den weg lief, kam dieses verbeugen wieder.

in china ist das anders, weil dort viele so sind (ich kannte chinesen, die nicht so waren). aber dieser experte lehrte an einer britischen universität, er forschte für die tonne, und sein vortrag erinnerte mich an das, was man von den parteitagen in beijing so hört: stundenlanges, für niemanden nachvollziehbares blah.

ich weiß nicht, ob’s okay war, dass ich den roten westminster-kuli bei alison in london gelassen hatte, statt ihn in einer hülle nach köln nach hause zu transportieren.