am anfang war die | langeweile

langeWeileImRundfunk

in einem text von 1930 in der zeitschrift der querschnitt schreibt ein 34jähriger mann eine fundamentalkritik am rundfunk. er nennt beispiele wie das requiem von bertolt brecht, die sich den möglichkeiten des rundfunks gut “angepasst” hätten. aber ein eigenes genre – “Eigenkunstwerk” – hätten die sender auch nach 6 jahren noch nicht hervorgebracht. der “rein akustische Film”weekend von walter ruttmann aus dem jahr 1929 sei immerhin “ein kühner Versuch” gewesen.

“Im Anfang des Rundfunks war die Langeweile. […] Entsetzliche Dinge wurden damals getrieben. Das Musikprogramm wurde aus vermoderten Konzersälen bezogen, Literatur aus der ‘Gartenlaufbe’, der Vortragsteil legte Wert auf die Sitten und Gebräuche der Minnesänger (unter dem Titel ‘Volksbildung’), Legionen Gurken wurden eingelegt (‘Für die Hausfrau’)”

das habe sich gebessert, aber sei noch weit von allem entfernt, was er, der autor sich vorstelle.

wer traute sich so zu schreiben?

hans flesch, ein mediziner aus frankfurt, der ziemlich jung und frech den → ersten hessischen sender aufmischte, dann als intendant nach berlin wechselte, wo der sender “funk-stunde berlin AG” hieß. flesch war nicht nur radikaldemokratisch im umgang mit seinen autoren (brecht, benjamin, adorno) und komponisten (hindemith, sein schwager), sondern suchte besessen nach rundfunk-eigenen ausdrucksformen. seine kritik in der zeitschrift ist also auch eine selbstkritik.

RundfunkpioniereVorNazischergen

rundfunkpioniere in untersuchungshaft, 1933. foto: bundesarchiv

die steile karriere endete abrupt, als die nazis im januar 1933 die macht ergriffen. die liberalen rundfunkpioniere wurden im laufe des frühjahrs und sommers der reihe nach verhaftet. das foto oben aus dem bundesbildarchiv zeigt flesch als zweiten von rechts, neben kurt magnus im KZ oranienburg. ihm und den anderen wurde der prozess gemacht, jedoch ohne signifikante strafen. als halbjude überlebte flesch den nationalsozialismus nur, weil seine frau arbeiten durfte. am ende des kriegs meldete er sich freiwillig als arzt an die front, baute lazarette auf – und gilt seit april 1945 als verschollen. die amerikaner hätten ihn gern als ersten intendanten des RIAS eingesetzt, aber flesch war wohl längst tot.

tja, und → walter ruttmann, den flesch so lobt, weil er das tonkino gemacht hat, später hörspiel genannt? ruttmann arrangierte sich nicht nur mit den nazis, er produzierte für die UFA NS-filme. mit seinen ästhetischen vorstellungen war er leni riefenstahl ein vorbild. er wurde ihr berater in mehreren blut & boden-filmen. das hätte auch so weiter gehen können, wäre ruttmann nicht 1941 an einer embolie gestorben.